Zusammenarbeit mit Inderinnen und Indern

Lieber Tim

Wie geht es dir in Deutschland? Plagt dich das Fernweh?

Ein Thema, das du für einen gemeinsamen Artikel vorgeschlagen hast, ist die Zusammenarbeit mit Inderinnen und Indern.

Da du beruflich viel mit Menschen aus verschiedenen Nationen und Kulturen zusammenarbeitest, kannst du darüber sicherlich einige Anekdoten erzählen. Kommen dir die Jahre in Indien diesbezüglich zugute? Gibt es wirklich so große Unterschiede oder sind dies Klischees, die immer wieder warm aufgebrüht werden? Muss man indische Mitarbeiter wirklich genau anleiten und führen? Können sie tatsächlich nicht zugeben, wenn sie etwas nicht verstanden haben? Was sind deine größten Probleme?

Meine Erfahrungen in über 12 Jahren Indien sind diesbezüglich sehr unterschiedlich. Aus meinen Beobachtungen kann ich sagen, dass Inderinnen und Inder es sich gewöhnt sind, unter strikten Hierarchien zu arbeiten. Dem Boss gegenüber zeigt man Respekt, und man muckt nicht auf. Ich finde dieses „Herumgebosse“ unerträglich. Diesen autoritären Tonfall, der mir schon ans Herz gelegt wurde, konnte ich noch nie an den Tag legen und wollte es auch nicht. Meine Schwiegermutter ist dafür ein Paradebeispiel. Ihre arme Putzfrau wird unter ihrem Adlerblick ständig kontrolliert, angewiesen und herumkommandiert.

Mit meiner Angestellten Sundari habe ich einen Glückstreffer gelandet. Denn entgegen all diesen gängigen Klischees kann sie selbstständig arbeiten. Ich kann sie machen lassen und vertraue ihr zu 100 %. Wenn sie etwas nicht versteht oder unklar ist, fragt sie nach und sagt nicht einfach ja, ja. Das Gleiche bei meinem Mann. Er hat zwei feste Mitarbeiter, zwei junge Ingenieure, die einen hervorragenden Job machen. Sie arbeiten selbstständig und sind sehr engagiert.

Dazu muss ich sagen, dass wir auch viel anderes erlebt haben. Der vorherige Mitarbeiter beispielsweise tickte genau nach dem Bild, das viele von Indern haben. Beim Aushändigen des Rückgeldes beglückte er sich stets mit kleinen Beträgen und selbstständiges Arbeiten war für ihn ein Fremdwort. Mein Mann zeigte mehrere Jahre Verständnis, aber hoffte vergeblich auf Verbesserungen und Lernfähigkeit.

Ich bin froh, dass wir momentan keine solche Probleme haben. Unsere Angestellten fühlen sich wohl bei uns. Sie schätzen, dass sie selbstständig arbeiten können und dass man ihnen wohlgesinnt und wertschätzend begegnet.

Vor einigen Jahren habe ich mich für einen Job als Lehrerin an einer internationalen Schule beworben. Die Bedingungen und der kleine Lohn haben mich jedoch ablehnen lassen. Da wurden täglich verpflichtende Arbeitsstunden an der Schule vorgeschrieben und die Unterrichtsplanung und –vorbereitung (inklusive Arbeitsblätter) mussten immer zwei Wochen zuvor der Schulleitung abgegeben und abgesegnet werden. Ich hätte mir dieses enge Korsett und diese Kontrolle nicht vorstellen können. Natürlich musste ich auch in der Schweiz eine Planung machen, mich an den Lehrplan halten und den Unterricht dokumentieren. Aber all die Jahre hat nie jemand einen Blick darauf geworfen.

Inzwischen gibt es Kurse und Seminare, die Deutsche und westliche Nationen auf die indischen Besonderheiten und Unterschiede des Arbeitsalltags vorbereiten sollen. Ich empfinde dies immer etwas überheblich, als ob nur Menschen aus Deutschland und anderen Industrie-Nationen fähig wären, „richtig“ zu arbeiten.

Ich freue mich schon über deine Antwort!

Herzliche Grüße

Irène

Liebe Irène,

Ja, vielen Dank mir geht es gut. Tja, das Fernweh, ich würde gern mal nach Südindien reisen, aber das lassen wir aktuell wohl mal besser sein. Aber starten wir gleich durch. Ich habe täglich mit Indern zu tun und dabei auch so meine Erfahrungen gemacht.

Kommen wir erst mal zu den Klischees:

1. Man muss alles haarklein vorgeben

2. Man versteht sie so schwer

3. Entwicklungsland, Wurfleitungen, Stromausfälle, schwaches Netz

4. Na ja, … und mit der Qualität ist das auch so eine Sache

Sicher nicht ganz richtig, aber so denken viele hier.

Zu meiner Situation:

Ein indischer Kollege arbeitet nur für mich, andere Inder wiederum leite ich an, damit sie Dinge in Indien und Asien für uns umsetzen. Die indischen Kollegen haben alle studiert und sprechen ein sehr gutes Englisch. Sie arbeiten für eine deutsche Firma, verdienen damit auch gut und sind besser abgesichert. Ich kann damit auch nur über diese Erfahrungen schreiben. Beziehungen zu Handwerkern oder Haushaltskräften habe ich aktuell natürlich nicht.

Warum ich die Zusammenarbeit mit Indien sehr schätze:

Neben der Arbeit ist es für mich natürlich eine tolle Möglichkeit, mit dem Land in Kontakt zu bleiben. Im Hintergrund höre ich Autos hupen, Hunde bellen und Vögel zwitschern. Auch die Kinder aus der Nachbarschaft und das typische „Indian Life“ kann ich hören. Leider stellen die Kollegen immer schnell auf „Mute“, ich weiß gar nicht genau warum? Vielleicht hat man ihnen das in einem Training „How to work with Germans“ so vermittelt? Ich habe mittlerweile gelernt, Ihnen nicht die Aufgaben zu geben, wo ich ein glasklares Bild vor Augen habe, was ich am Ende heraus haben will. Das war eine Lernkurve, ich mache es jetzt anders. Ich setze die indischen Kompetenzen da ein, wo ich vielleicht selber eine Schwäche habe. Zum Beispiel wenn ich längere englische Texte zu verfassen habe (Dokumentation, Schulungsunterlagen etc). Die schreibe ich grob vor und die Kollegen polieren dann mein Englisch. Und ich schätze sie als Brücke nach Asien. Wann immer ich Dinge in Thailand, Malaysia, Singapur, Vietnam, Australien durchsetzen will, nutze ich sie mittlerweile als Vermittler. Sie sind der Kultur viel näher und natürlich auch der Zeitzone. Was auch einen großen Vorteil für mich bringt. So können sie schon an Dingen arbeiten, während ich noch schlafe. Das meine ich gar nicht egoistisch, so ist es sehr produktiv, weil wir somit mehr schaffen.

Und wie läuft die Zusammenarbeit im Alltag:

Tja, natürlich virtuell, die indischen Kollegen kommen pünktlich, sind sehr höflich und sehr an unserem Leben interessiert. Ich beginne jedes Gespräch mit persönlichen Themen (Familie, Alltag, Schule, Corona, Wetter, Bollywood). Dann leite ich zum Business über. Alle Leistungen, die ich von ihnen gerne möchte, spreche ich aus und schreibe sie gleichzeitig im Beisein der Kollegen auf. Dann erwarte ich aber auch eine gewisse Selbstständigkeit. Klappt nicht immer, aber meistens. Manchmal später.

Woran ich immer noch zu knabbern habe:

Wenn ich nicht weiß, ob sie es inhaltlich verstanden haben. Wenn sie sagen „ Got it, sure sure Tim“, hab ich manchmal so meine Zweifel. Oder wenn sie etwas abliefern, wo ich noch Beanstandungen habe. Soll ich dann ewig herumnörgeln, bis sie es vollendet haben (was sehr anstrengend sein kann) oder mache ich einfach den letzten Schliff selber? Setzt das dann ihre Arbeit herab? Wie wirkt das auf sie, wenn ich so kleinlich bin? Die Führungskulturen in den westlichen Unternehmen öffnen sich immer mehr, Hierarchien werden immer mehr abgebaut. Wie passt das mit dem „Herumgebosse“ in Indien zusammen? Und die Thematik der Kasten spielt doch da auch noch mit rein, oder?

Alles nicht so einfach, aber ich arbeite ausgesprochen gern mit Indern zusammen!

Liebe Grüße

Tim

6 Antworten

  1. Mit Lernenden, die in den Ländern des indischen Subkontinent sozialisiert wurden, habe ich die Erfahrung gemacht, dass sie einen direktiven Unterrichtsstil bevorzugen. Das Konzept des Autonomen Lernens muss oft erst eingeführt und verinnerlicht werden.

    Wie sinnvoll ist die strikte Kontrolle der Schulleitung, von der du schreibst? Ist so etwas notwendig, um eine halbwegs homogene Lern-Lehrkultur zu gewährleisten?

    Beste Grüsse aus der Schweiz

    1. Lieber Thomas
      Danke für deine Nachricht. Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Die meisten indischen Schulen fördern kein autonomes, eigenständiges Lernen. Der Lernstoff wird einfach im Frontalunterricht vermittelt.
      Die Frage bezüglich der strikten Kontrolle der Schulleitung habe ich mir auch gestellt. Ich weiß auch nicht, ob dies in den öffentlichen Schulen gleich gehandhabt wird.
      Ich denke nicht, dass es da um Homogenität geht, sondern um sicher zu stellen, dass nach dem Lehrplan unterrichtet wird und die Qualität des Unterrichts stimmt. Schulbildung ist hier in Indien ein großes Business. Die Schulen wollen einen guten Ruf haben. Viele Lehrerinnen und Lehrer, die an Schulen unterrichten, haben tatsächlich auch keine pädagogische Ausbildung.
      Liebe Grüße in die Schweiz 🇨🇭 Irène

      1. Wenn pädagogische Dilettanten unterrichten, wird es nicht ausreichen, wenn man nur den Lehrplan sicherstellt. Wer Lehren nicht gelernt hat, braucht eine Begleitung, die nah an dem Geschehen im Unterricht ist. Insofern ist das, was dort gefordert wird, Qualitätssicherung auf niedrigem Niveau.

Eine Antwort hinterlassen