Als Frau alleine in Indien

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Die schreckliche Massenvergewaltigung mit anschließendem Mord an einer jungen Frau in der Nähe von Hyderabad (November 2019) hat ganz Indien erschüttert. Auch mich hat dieser Fall sehr aufgewühlt. Die Täter haben es gezielt auf die Frau abgesehen, ihrem geparkten Scooter die Luft rausgelassen und sich bei ihrer Rückkehr als freundliche Helfer ausgegeben. Wie kann man da noch jemandem trauen, der seine Hilfe anbietet?

Ich lebe nun schon fast 11 Jahre in Indien und meiner Meinung nach ist Indien kein geeignetes Land für alleinreisende Frauen. Hätte ich eine Tochter, würde ich so einem Vorhaben mit sehr grosser Besorgnis entgegensehen. Vor allem jungen, unerfahrenen Indienreisenden mit einem kleinen Reisebudget rate ich davon ab. Um einen Eindruck von Indien zu bekommen, empfehle ich, sich das erste Mal eine Reisebegleitung zu suchen oder sich einer Gruppenreise anzuschließen. So kann man in die indische Kultur reinschnuppern und mal schauen, wie sich dies anfühlt.

Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen, dass das Abenteuer Indien mit zunehmendem Alter einfacher wird. Je älter man ist, desto mehr Respekt wird einem entgegengebracht. Mit 48 kann ich es mir jetzt auch ab und zu erlauben, mit jungen Männern zu scherzen, ohne dass es falsch verstanden wird. Irgendwie bekommt man eine gewisse Oma-Aura, die durchaus seine Vorteile hat.

Recht sicher, aber halt auch relativ teuer ist man mit einem eigenen Fahrer unterwegs. Ein Fahrer wird sich automatisch für euch verantwortlich fühlen und stets um eure Sicherheit bemüht sein.

Je mehr man selbst organisieren und planen muss, desto anstrengender und nervenaufreibender zeigt sich der indische Subkontinent. Dieses Land kann einem schnell an die eigenen Grenzen bringen. Um das Abenteuer überhaupt in Betracht zu ziehen, sind meiner Meinung nach gute bis sehr gute Englischkenntnisse und eine vorgängige Auseinandersetzung mit der indischen Kultur unabdingbar.

Kurzeinblick in die indische Kultur

Indische Frauen reisen in der Regel nicht alleine. Dies würden die Eltern und Ehemänner doch mit grosser Besorgnis sehen. Man ist sehr auf Sicherheit bedacht und will nichts riskieren. Weibliche Fahrgäste nutzen Uber nur mit GPS-Kontrolle und nachts ist man zu Hause oder sicherlich nicht alleine unterwegs.

In den Großstädten Mumbai, Delhi und Bangalore sieht man indische Frauen in westlicher Kleidung, aber die große Mehrheit ist doch indisch gekleidet. Hier in Chennai (Tamil Nadu) ist man noch sehr traditionell und konservativ eingestellt. Im Alltag sieht man eigentlich nur Frauen in Saris oder Churidars (Salwar Kameez). Nur wenn ich in eine Mall, ein 5-Sterne-Hotel oder eine Bar gehe, sehe ich westlichen Kleidungsstil. Da präsentieren sich auch einige indische Frauen der höheren Mittel- und Oberschicht gerne knapp und körperbetont. Ein ähnliches Bild präsentiert sich im geschützten Rahmen eines besseren Hotels oder Resorts, wo Indiens Mittelschicht anzutreffen ist.

In Indien kennt man keine Badekultur. Eigentlich auch nicht erstaunlich, denn die meisten können nicht schwimmen. Eine indische Frau würde niemals in einem Bikini oder Badeanzug an einen normalen Strand gehen. Ist der Strand privat, gesichert oder sehr touristisch wie in Goa, dann sieht es wieder anders aus.

Sexualität ist in Indien ein grosses Tabu. In indischen Filmen sieht man nicht mal einen Kuss. Westliche Filme mit Sexszenen werden zensuriert und im Kino wird sofort eine Altersgrenze von 18 gesetzt. Gewaltszenen und Brutalität hingegen sind kein Problem, damit werden schon Säuglinge und Kleinkinder berieselt. Indische Paare tauschen in der Öffentlichkeit keine Zärtlichkeiten aus, sie gehen nicht mal Hand in Hand. Höchstens wenn sie in den Flitterwochen weilen, sieht man händchenhaltende Paare.

Die indischen Mädchen werden sehr behütet und auf Sicherheit bedacht aufgezogen. Schon früh wird ihnen beigebracht, dass man fremden Männern mit Distanz begegnet, da wird nicht gelächelt und oft sogar der Blickkontakt vermieden. Keinesfalls sollen falsche Signale ausgesendet werden.

In den indischen Männerköpfen herrscht oft das Bild, dass weiße Frauen leicht zu haben sind und ihre Sexualpartner gerne wechseln. Wenn ich in Chennai oder selbst auf Reisen dann Touristinnen begegne, die sich scheinbar überhaupt nicht mit der indischen Kultur auseinandergesetzt haben, kann ich nur den Kopf schütteln. Junge hübsche Frauen in Spaghettiträger-Tops und Hotpants, die jedem nett zulächeln. Fast jeder Inder dreht sich um, starrt und in den Gesichtern steht geschrieben, worum sich ihre Gedanken wohl kreisen. Ich habe ja grundsätzlich nichts gegen kurze Röcke und lachende Frauen und wären diese im 5-Sterne-Hotel oder in einer angesagten Bar, dann passt dies durchaus- auch hier in Indien. Jedoch nicht auf offener Straße, nicht in einem ungeschützten Raum.

In den letzten Jahren hat sich in Indien leider ein schrecklicher Selfiekult ausgebreitet. Vor allem Selfies mit Touristen und noch lieber Touristinnen sind absolut im Trend. Auch hier überschreiten indische Männer oft die Grenzen des Anstandes. So suchen viele gezielt Körperkontakt und legen sogar den Arm um die Touristin. In der indischen Kultur ein absolutes NO GO. Ich rate dringend davon ab, sich alleine mit fremden Männern abzulichten. Erstens ist schon die Frage nach einem Selfie grenzwertig, zweitens werdet ihr euch kaum von Anfragen retten können und drittens weiß man nie, was danach mit diesen Bildern passiert.

12 Tipps für alleinreisende Frauen

  1. Versuche deine Reise gut zu planen und vorzubereiten. Mit einer guten Reiseplanung kannst du bereits im Vorfeld viele Risiken eliminieren. Dadurch verliert deine Reise keineswegs an Spontanität, denn oft klappt in Indien nicht alles nach Plan.
  2. Höre gut auf deine innere Stimme. Diese warnt dich in der Regel sehr genau vor Gefahren und Ungereimtheiten. Hast du ein schlechtes Gefühl, dann suche nach einer anderen, sicheren Möglichkeit.
  3. Trete selbstbewusst und wenn nötig bestimmt auf.
  4. Kleide dich eher „konservativ“. Es müssen nicht unbedingt indische, traditionelle Kleider sein, aber die Knie und die Schultern sollten bedeckt sein. Es lohnt sich, einen Schal in Griffnähe zu haben. Der hilft, wenn man damit die Brust und den Ausschnitt abdeckt, nicht nur gegen aufdringliche Blicke, sondern ist auch sehr nützlich gegen eine Erkältung durch Zugluft oder die Klimaanlage. Auch bei einem Tempelbesuch unerlässlich.
  5. Die Sicherheit sollte immer vorgehen. Suche dir nicht aus Spargründen die billigsten Unterkünfte in einer schlechten Gegend, sondern achte darauf, dass die Hotels oder Herbergen gute Empfehlungen haben und sicher sind. Das Zimmer sollte immer mit einem Riegel von innen zu schließen sein.
  6. Vermeide das Reisen spät in der Nacht. Wenn es nicht anders geht, lass dich am Ankunftsort abholen. Auch einsame Plätze und Gegenden sind keine gute Idee. Nachts solltest du nicht alleine unterwegs sein.
  7. Informiere jemanden über deinen Reiseverlauf.
  8. Ein aufgeladenes Handy und eine Powerbank in der Tasche geben Sicherheit. Notiere dir wichtige Adressen und Telefonnummern und speichere sie in deinem Phone ab.
  9. Nutze bei Bus- und Bahnreisen die Bereiche für Frauen oder Familien. Wenn es eng wird, empfiehlt es sich, den Rucksack oder die Tasche vorne an die Brust zu nehmen, so bist du wenigstens von vorne besser gegen sexuelle Belästigung und natürlich auch gegen Diebstahl geschützt. Wenn Drängler von hinten kommen, darfst du ruhig den Ellbogen ausfahren. Die indische Bahn warnt auch immer wieder vor Trickbanden, die einem ganz nett als Mitfahrende Esswaren und Getränke mit Betäubungsmittel anbieten. Achte gut auf deine innere Stimme und iss nichts aus reiner Höflichkeit. Niemals solltest du offene Getränke annehmen. Bist du in einer Bar, behalte dein Getränk im Auge. Knock-out-Tropfen sind leider auch hier ein Thema.
  10. Fahren mit dem Taxi oder der Rikscha: Wenn du unsicher bist, mach gut sichtbar ein Foto der Autonummer und verschickt diese per WhatsApp an eine Vertrauensperson. Handle den Preis immer vorher aus oder bestehe darauf nach Taxameter zu fahren. Inzwischen kann man in vielen Städten auch Autorikshas mit UBER oder Ola buchen. Steige niemals ein, wenn der Fahrer noch einen Freund oder Bekannten mitfahren lässt.
  11. Hast du Schwierigkeiten, halte dich vor allem an Frauen, Familien oder bitte in einem Laden um Hilfe. Auch wenn man mit der Polizei droht, lösen sich Probleme oft von selbst.
  12. Ab 2020 sollte in ganz Indien die Emergency Nummer 112 aufgeschaltet sein. Ansonsten erreichst du die Polizei unter der Nummer 100. Wenn es ganz schlimm kommen sollte, informiere deine zuständige Botschaft (Nummer im Handy speichern). Sie können dich beraten, und manchmal ist dies die schnellere und bessere Option als die indische Polizei.

Wenn du das Abenteuer wagst, wünsche ich dir wunderschöne Momente und eine gute, sichere Reise in Incredible India. Take care!

4 Antworten

  1. Danke für deinen Bericht, ich stimme dir 100%ig zu. Ich verbringe nun seit 20 Jahren den Winter in Goa, und mache jedesmal Reisen alleine, vorwiegend mit dem Sleeper.Es stimmt wirklich, daß der Respekt zunimmt, je älter man wird. Ich habe die Erfahrung, daß die Mitreisenden auf mich aufpassen, und ich steige immer mit einem Stapel Visitenkarten aus, um Kontakt zu halten.Auch die europäischen Männer haben auf den Trecks in Ladhak auf mich Rücksicht genommen, weil ich ja eine andere Geschwindigkeit habe. Mich macht Indien glücklich, die Liebenswürdigkeit der Menschen, die Wärme, die Farben, die Gerüche, z. B. der Geruch der Night Queen oder der Kashewnutbäumen. Ich habe mir auch etwas angewöhnt, wenn es am Boden zu schmutzig ist, schaue ich in das herrliche Blau des Himmels und in die grünen Baumkronen. Ich hoffe nur, daß die Coronaeinschränkung bald vorüber ist, und ich mein geliebtes Indien bald wieder besuchen kann.Behalten wir die indische Sonne im Herzen

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