So viel weiße Haut habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Es ist touristisch, sehr touristisch sogar. Jodhpur empfängt uns mit dementsprechenden Preisen. Für die rund 30-minütige Fahrt mit dem Prepaid-Taxi bezahlen wir 800 Rupees. „Das werden definitiv teure Ferien“, murmelt mein Göttergatte leicht genervt.
Das Mehrangarh Fort
Am nächsten Morgen besuchen wir ausgeruht und mit frischen Alu-Parathas im Magen das Mehrangarh Fort. Die riesige Festungsanlage aus Sandstein verschmilzt förmlich mit dem Felsen, worauf sie thront und die Stadt überragt.
Es ist Sonntag und ein buntes Gemisch aus vielen, d. h. sehr vielen indischen und ausländischen Touristen bevölkern das Fort.
Für die Tickets müssen wir uns in eine lange Reihe stellen und uns in Geduld üben. Der Besuch des Forts ist ohne Ausstellungsräume übrigens gratis. Ausländer bekommen mit den Eintrittsgebühren einen Audioguide.
Wenigstens sehen wir, wie der Maharaja mit seiner Gefolgschaft vorbeifährt. Er feiert Geburtstag, und da die Feierlichkeiten eines Maharajas scheinbar länger dauern als bei einem Normalsterblichen, ist sein Palast für drei Tage geschlossen. Auch das Fort ist immer noch im Besitz der fürstlichen Familie.
Die Anlage ist wirklich beeindruckend. Die Hochzeit von Liz Hurley und dem steinreichen Unternehmer Arun Nayar hat übrigens hier stattgefunden. Durchaus passend für eine opulente Promihochzeit.
Im Vergleich zu den alten Tempeln Tamil Nadus ist hier doch alles recht jung. Jodhpur wurde erst im Jahre 1459 gegründet. Die meisten erhaltenen Teile des Forts stammen aus dem 17. Jahrhundert.
Wie sehr müssen sich die Herrscher vor Eindringlingen und Bedrohungen gefürchtet haben. Die Seidenstraße mit dem Opiumhandel war sicherlich ein gutes Geschäft, das jeder für sich selbst beanspruchen wollte. Hier führten die Handelsrouten der Marwaris und Sindhis durch. Sie betrieben Handel von Fernost bis in die fernen Länder Südostasiens.
In Rajasthan hatte die Witwenverbrennung lange Tradition. Auch Maharanis liessen sich als Sati mit ihren verstorbenen Ehemännern verbrennen. Am Eisentor (Loha Pol) erinnern sechs kleine Handabdrücke an die Witwen, die mit dem Maharaja Man Sing 1843 verbrannt wurden.
Um das Fort zu besichtigen, sollte man mindestens einen halben Tag einplanen. In den Ausstellungsräumen bekommt man all den Prunk der fürstlichen Familien zu sehen. Prachtvolle Kleider, Sänften, königliche Gemächer, … Die Aussicht auf die blaue Stadt und die Gartenanlage hat mir besonders gut gefallen. Im Garden Café haben wir abseits der vielen Touristen wunderschöne Momente mit gutem Essen, Masala Chai und Kingfisher Bier verbracht.
Besuch bei den Bishnoi
Unser Nachmittagsprogramm führt uns in die umliegenden Dörfer. Die hinduistische Religionsgruppe der Bishnoi lebt hier noch sehr traditionell. Sie leben nach 29 Regeln, die ihre Religion vorschreibt. Ganz wichtig ist ihnen der Respekt und die Achtung vor allem Leben. Sie dürfen kein Tier töten und auch keinen Baum fällen. Trifft man die Bishnoi, hört man umgehend von dem schrecklichen Massaker von 1730.
Der damalige Maharaja hatte seine Soldaten in die Dörfer geschickt, um Bäume zu fällen. Schützend stellten sich die mutigen Bishnoi vor die Bäume und umarmten diese. Die Soldaten zeigten sich dadurch jedoch unbeeindruckt und töteten 363 Bishnoi. Als der Maharaja davon erfuhr, war er empört und zornig über seine eigenen Männer. Umgehend erließ ein Dekret gegen die Abholzung in Bishnoi Dörfern.
Beim Besuch einer Bishnoi-Familie preist unser Gastgeber die Vorzüge von Opium. Sein alter Vater, der bereits 93 Jahre alt ist, nimmt davon täglich eine kleine Menge. Stolz hält er uns eine dunkelbraune Opium-Paste unter die Nase und fordert uns auf, davon zu testen.
Zögerlich probiere ich die winzigkleine Menge, die an meiner Fingerspitze kleben bleibt. Es schmeckt sehr bitter. Um Gäste willkommen zu heißen, wird in einer speziellen Zeremonie ein Opiumgetränk zubereitet und ich bin froh, dass scheinbar nur Männer daran teilnehmen müssen. Mein Mann macht mit, merkt aber absolut keinen berauschenden Effekt. Dafür sind die Mengen wohl zu klein.
Naturbeobachtungen
Am Spätnachmittag stoppt unser Fahrer immer wieder am Straßenrand und hält Ausschau nach Antilopen. Tatsächlich haben wir Glück eine Nilgai-Antilope zeigt sich uns ganz nah, als sie die Straße überquert. Nilgai bedeutet „Blaue Kuh“. Das riesige Tier erinnert mit dem langen Hals an eine Mischung zwischen Kuh und Pferd. Da die Kuh im Hinduismus als heilig angesehen wird, werden Nilgai nicht gejagt.
Auch die zierlichen Chinkara-Antilopen können wir beobachten und aus der Ferne sehen wir Black Bucks, Hirschziegen-Antilopen.
Den Zorn der Bishnoi hat der berühmte Schauspieler Salman Khan auf sich gezogen. 1998 hatte der Schauspieler im Gebiet der Bishnois unüberlegt zwei Black Bucks geschossen. Scheinbar ist der Gerichtsfall immer noch nicht abgeschlossen.
Im Weiteren besuchen wir in den umliegenden Dörfern Weber, Töpfer und Textildrucker. Die meisten arbeiten seit Generationen im gleichen traditionellen Kunsthandwerk. Gerne und stolz zeigen die Menschen ihr Können. Die Vorführungen sind jedoch sehr touristisch angelegt und werden mit viel Charme dargeboten. Letztlich geht es darum die Waren zu stolzen Preisen an den Mann, beziehungsweise an die Frau zu bringen.
Man ist zwar nicht verpflichtet, etwas zu kaufen, aber wird dazu professionell verführt. Wir haben festgestellt, dass sich Zurückhaltung beim Kauf lohnt, oder dass man die Preise wirklich runterhandeln muss.
Kunsthandwerk aus Rajasthan
Die berühmten Dhurries stammen von hier. Die schönen, farbigen Baumwoll-Teppiche werden in Dorf-Kooperativen hergestellt.
Die Töpfer arbeiten hier noch ohne elektrische Töpferscheiben. Eine 100 kg schwere Betonplatte wird von Hand mit einem Stock in Schwung gebracht.
Das Bedrucken von Textilien in der berühmten Block-Print-Technik hat Tradition in Rajasthan. Mit schönen Mustern von Holzstempeln werden die Stoffe sorgfältig bedruckt.
Stadtrundgang durch Jodhpur
Die Augen meiner Freundin leuchteten vor Freude als ich ihr von unserem kommenden Jodhpur-Trip erzählte. „Oh, da musst du unbedingt Makhani Lassi trinken und Katchori essen und Gulab Jamun! Weißt du, die sind nicht in Zuckersirup eingelegt – die wirst du mögen und natürlich frische Jalebi! Und rote Karotten musst du unbedingt kaufen und Erbsen und in Jodhpur bekommst du das beste Hing Powder…“
Sie schwelgte in Kindheitserinnerungen und kulinarischen Genüssen. Ihre Sommerferien hatte sie immer in Jodhpur verbracht. Erst als sie mir alle vegetarischen Leckereien und Lieblingsgerichte schmackhaft gemacht hatte, erzählte sie mir von den wichtigsten Sehenswürdigkeiten.
Am zweiten Tag spazieren wir mit einem netten Guide rund drei Stunden durch die engen Gassen der Altstadt. Unser Rundgang beginnt beim berühmten Sardar Market mit dem Glockenturm.
Um acht Uhr ist der Markt noch leer und still. Nur ein paar Kühe und Hunde tummeln sich auf dem Platz. Unser Sohn und ich kommen in der kühlen Morgenluft und nach einem Masala Chai schnell in den Fotografiermodus. Immer wieder bieten sich hübsche Fotosujets. Nur die wirren Stromleitungen und -kabel, die praktisch jedes Bild zerschneiden, nerven uns.
Überall entdeckt man Tauben
Unser Guide macht sich bezahlt. Warum viele Häuser blau gestrichen sind, hat mehrere Gründe. Der Maharaja forderte zuerst die Kaste der Brahmanen auf, sich direkt unter dem Fort anzusiedeln. Dort waren sie am besten vor feindlichen Angriffen geschützt. Um die unerträgliche Sommerhitze auszuhalten, beschlossen sie die Häuser in mit einer Indigo-Mischung blau zu streichen. Weiße Farbe wäre wegen der direkten Sonneneinstrahlung zu grell gewesen. Viele meinten auch, dass die blaue Farbe Moskitos fernhalten würde.
Doch das Blau hat auch einen spirituellen Hintergrund. Die meisten Brahmanen in Jodhpur sind scheinbar Shivaiten, d. h. sie verehren Lord Shiva. Der hinduistischen Mythologie nach wurde beim Aufquirlen des Milchozeans nicht nur das Amrit, der Trank der Unsterblichkeit, sondern auch ein schreckliches Gift geschaffen. Um die Welt zu retten, hat Shiva das Gift getrunken. Seine Gattin Parvati hielt ihm jedoch den Hals zu, sodass es sich nicht in seinen ganzen Körper ausbreiten konnte. So wurde der Hals von Shiva blau gefärbt. Darum wird er auch Neelakantha (Blauhals) genannt. Die blaue Farbe ist auch als Zeichen und Opfergabe für Shiva zu verstehen.
Viele Häuser kombinieren die blaue Farbe mit gelb, pink oder grün. Unser Führer erzählt uns, dass diese Farben die drei Göttinnen Lakshmi (pink), Saraswati (gelb) und Parvati (grün) symbolisieren. Bei Tempeln findet man dann oft alle Farben wieder.
Ohne Führung wäre es definitiv schwierig, sich in den verwinkelten, engen Gassen zurechtzufinden. Die Stadt wurde bewusst so angelegt, um die Feinde im Falle eines Angriffs zu behindern und das Fort zu schützen.
Natürlich kennt unser Guide auch die besten Orte, um all die Leckereien zu kosten, die mir Ruby ans Herz gelegt hat. Die Mogar Katchori, mit gelben Linsen gefüllt, sind sehr lecker.
Obwohl ich Jalebi normalerweise nicht mag, muss ich mein Urteil revidieren. Ganz frisch und noch warm sind sie eine wahre Gaumenfreude.
Auf meinen Wunsch hin werden wir auch zu Chaturbhuj geführt. Es ist das beste Geschäft, um die berühmten trockenen Gulab Jamun zu kaufen. Ich decke mich mit zwei Schachteln ein, eine davon natürlich für meine liebe Freundin.
Auf dem Markt staune ich über das riesige Gemüse. Die weißen Rettiche sind sicher doppelt so groß wie in Chennai. Ein Kilo der roten Karotten landen schließlich auch in meiner Tasche.
So neigt sich unser Blue City Walk mit vielen geknipsten Bildern langsam dem Ende zu. Ein tolles Erlebnis, das ich nur weiterempfehlen kann.
Die Wüste Thar
Unser Sohn möchte die Wüste sehen. Wir werfen all die andern Sehenswürdigkeiten über Bord und nach einer Siesta fahren wir gemütlich nach Osian, um eine Wüstensafari zu machen. Die Fahrt dauert rund 2 Stunden. Es ist schon spät am Nachmittag, als wir in Osian ankommen. Für mich ist klar, dass ich auf keinem Kamel reite. Mir tun die armen Tiere leid.
Um den Wüstensand zu bezwingen, steigen wir in einen Jeep. Voller Speed fährt der Fahrer die Sanddünen herauf und herab. Wer noch keinen Bandscheibenvorfall hatte, der kriegt ihn sicherlich in Osian. Unser Sohn findet dies cool – seine Mutter hingegen nur verrückt, unzumutbar und gefährlich. Irgendwie komme ich mir bei diesem Abenteuer unglaublich alt und als Spielverderberin vor, aber ich kann da wirklich nicht mitmachen. So drosselt mein Liebster den Fahrer rapide ab, und wir fahren gemütlich durch die karge Wüstenlandschaft – bis die Sonne untergeht.
7 Antworten
Danke dir für diesen sehr interessanten Bericht und die wunderschönen, Sehnsucht machenden Fotos! Vor Jahren habe ich hier bei uns in Österreich, im sogenannten „Waldviertel“, eine Künstlerin kennengelernt, die auch mit der Block-Print-Technik für ihre Stoffe gearbeitet hat.
Am 6. Dezember habe ich diesen Bericht über die Bishnois auf meiner Seite geschrieben. Danke für deine Erzählung über die Bishnois!
Alles Liebe Monika
https://monikakrampl.wordpress.com/2019/12/06/das-weltklima-zivilisation-kultur-und-die-bishnois-eine-gegenuberstellung/
Alles ist irgendwie miteinander verbunden. Herzliche Grüße Irene
Ach schön, da war ich 2015. und sehr interessant zu lesen, in Deutscher Schrift, aber aus Indischer (nicht touristischer) Sicht
Na ja, da war ich natürlich auch als Touristin 😉
Ich erinnere mich da an unseren Guide. Ungewöhnlich großer Inder, lange schwarze Haar mit Locken und mit regelmäßiger Wiederholung, dass seine Familie schon immer Söhne für Kämpfer und Militär gestellt hat.
Das kann ich mir vorstellen. In Rajasthan hat es viele Rajputen. Sie gehören zur Kaste der Krieger und Fürsten. Da ist Ehre und Ruhm enorm wichtig.