Liebe Irène
Ich hoffe, es geht dir gut. Neulich habe ich per Zufall deinen Blog entdeckt und schon einige Artikel gelesen. Es bedeutet mir viel, mit jemandem in Kontakt zu treten, der bereits so viele Jahre in Indien lebt und eine interkulturelle Ehe mit einem Inder führt.
Ich habe mich vor 10 Monaten in einen wundervollen indischen Mann verliebt, und während ich sehr glücklich bin, spüre ich auch eine große Unsicherheit und habe viele Fragen, die mir auf dem Herzen liegen. Es ist eine besondere und komplexe Situation, und ich glaube, dass deine Erfahrungen mir sehr helfen könnten.
Was mich besonders beschäftigt, ist das Thema der kulturellen Unterschiede. Wie bist du damit umgegangen, als du nach Indien gekommen bist? Wie hast du die Traditionen und Bräuche deines Mannes kennengelernt und wie haben sie deinen Alltag beeinflusst? Hast du manchmal das Gefühl gehabt, dich zwischen zwei Welten hin- und hergerissen zu fühlen?
Ein weiterer Punkt, der mich bewegt, ist die Familienstruktur in Indien. Ich habe gehört, dass die Familienbindungen dort oft sehr eng sind und eine zentrale Rolle spielen. Wie hast du es geschafft, dich in die Familie deines Mannes einzufügen?
Auch die Kommunikation beschäftigt mich sehr. Sprachliche und kulturelle Missverständnisse können schnell entstehen. Wie habt ihr beide diese Herausforderungen gemeistert? Hast du Tipps, wie man sich in solchen Situationen am besten verhält?
Es gibt so viele Aspekte, über die ich nachdenke. Ich möchte alles richtig machen, aber gleichzeitig habe ich Angst davor, Fehler zu begehen.
Ich wäre dir unendlich dankbar, wenn du einige deiner Erfahrungen und Ratschläge mit mir teilen könntest.
Ich freue mich sehr, von dir zu hören und hoffe, dass ich dir nicht zu viele Fragen auf einmal gestellt habe.
Mit herzlichen Grüßen
Sonja (Name anonymisiert)
Liebe Sonja
Vielen Dank für deinen Brief. Schön, dass du meinen Blog gefunden hast. Gerne versuche ich meine Erfahrungen mit dir zu teilen.
Die kulturellen Unterschiede, die du ansprichst, sind tatsächlich eine der größten Herausforderungen. Ich bin diesbezüglich allerdings in einer privilegierten Situation. Als ich meinen Mann kennengelernt hatte, war er bereits gut mit der schweizerischen Kultur vertraut und sprach sehr gut Deutsch. Ich glaube, dies hat unser Zusammenleben enorm erleichtert. Ohne die Kultur des anderen zu kennen und ohne eine gemeinsame Sprache, die beide auf einem muttersprachlichen Niveau beherrschen, wäre für mich eine interkulturelle Liebesbeziehung niemals in Betracht gekommen.
Als ich nach Indien kam, fühlte ich mich oft überwältigt von der Kultur und der Vielfalt der Traditionen. Am Anfang habe ich versucht, so viel wie möglich zu beobachten, zu lernen und zu verstehen. Es waren Lehrjahre, die mir ein tieferes Verständnis für die indische und tamilische Kultur näher brachten. Ohne die Kultur und die Traditionen des Partners oder der Partnerin zu kennen, funktioniert eine binationale Beziehung meiner Meinung nach nur beschränkt.
Viele Verhaltensweisen kann man nur im Kontext der Kultur verstehen, in der jemand aufgewachsen ist. Dabei hat mir geholfen, offen und neugierig zu sein und möglichst ohne Vorurteile hinzuschauen. Aber es war auch wichtig, mir selbst treu zu bleiben und meine eigene Kultur nicht zu vergessen. Das ist manchmal ein Balanceakt, aber mit der Zeit habe ich gelernt, dass es okay ist, sich manchmal zwischen zwei Welten hin- und hergerissen zu fühlen oder eben schlicht und einfach meine eigenen Wertvorstellungen zu vertreten.
Was in unserer Beziehung wirklich sehr toll ist, ist die Tatsache, dass wir beide sehr offen sind. Mein Mann ist Hindu und in einer sehr traditionellen Hindufamilie groß geworden, aber er ist nicht religiös, weltoffen und verbeisst sich nicht in religiösen Traditionen. Obwohl ich sagen muss, dass er hier in Indien schon indischer tickt, als es früher in der Schweiz üblich war.
Meine indische Familie ist strikt vegetarisch. Ich denke, es war ein immenser Vorteil, dass ich schon viele Jahre bevor ich meinen Mann kennengelernt habe, vegetarisch gelebt habe. Eine Fleischesserin in der Familie zu akzeptieren, wäre definitiv eine Herausforderung geworden- ich denke auch für meinen Mann wäre das schwierig gewesen.
Ich interessiere mich für andere Religionen und habe mich mit dem Hinduismus auseinandergesetzt, gehöre jedoch keiner Religion an. Wir beide sind eher spirituelle Kritiker, die es jedoch nicht ausschließen, dass es etwas Höheres zwischen Himmel und Erde gibt. So gab und gibt es bei uns niemals Konflikte bezüglich Glauben und Religion. Ich denke, interreligiöse Beziehungen können sehr schwierig werden, wenn beide oder ein Teil sehr gläubig sind. Spätestens bei der Familiengründung wird dies zu Problemen führen. Viele Frauen konvertieren in solchen Konstellationen zu einer anderen Religion, was ich natürlich als sehr kritisch ansehe.
Die Familienstruktur in Indien ist, wie du schon gehört hast, sehr stark ausgeprägt. Für mich war es anfangs schwierig, dies zu verstehen.
Die Eltern sind für meinen Mann sehr wichtig und er fühlt sich voll für sie verantwortlich. Wenn seine Eltern etwas sagen, hat dies immer Priorität und Älteren gegenüber muss man immer respektvoll sein. Manchmal war es schwierig für mich, dies zu akzeptieren und ich fühlte mich zurückgesetzt. Meine Schwiegereltern hätten sich für ihren Sohn definitiv eine arrangierte Ehe in der gleichen Kaste gewünscht, aber letztlich haben sie unsere Beziehung akzeptiert.
Glücklicherweise haben sich meine Schwiegereltern nie groß eingemischt. Wenn sie ein Problem hatten, haben sie dies immer über meinen Mann angesprochen und dieser hat dies dann meistens irgendwie gelöst.
Mit der Zeit lernte ich auch zu respektieren, dass die Familie meines Mannes an einige Dinge anders herangeht und kommuniziert, als es in meinem kulturellen Kontext üblich ist.
Wie ich oben bereits geschrieben habe, finde ich es existentiell, dass man in einer internationalen Liebesbeziehung auch sich selbst und seinen eigenen Werten treu bleiben kann. Wenn jemand sich dem anderen zu liebe ständig anpasst und verbiegt, dann kann dies auf Dauer nicht gut gehen.
Nicht umsonst liegt das Scheidungsrisiko bei binationalen Ehen um 64 % höher als bei Ehen zwischen Personen gleicher Herkunft.
Ich habe heute auch noch meinen Mann gefragt, was seiner Meinung nach in einer binationalen Beziehung wichtig ist.
Er meinte:
“Das ist ganz einfach: Die Liebe muss da sein! Danach kommen die Sprache und das gegenseitige kulturelle Verständnis.”
Ich sehe es ähnlich. Eine binationale oder multikulturelle Liebe ist eine große Herausforderung. Beide Partner müssen sich das gegenseitige kulturelle Verständnis aneignen und eine gemeinsame Sprache finden, in der man auf einem muttersprachlichen Niveau kommunizieren kann.
Um in Indien zu leben, muss man auch eine gewisse Anpassungsfähigkeit mitbringen.
Was man auch nicht außer Acht lassen darf, ist die Tatsache, dass du in Indien nicht nur deinen Mann, sondern die ganze Familie heiratest. Es gibt durchaus Familien, die für ihre Kinder keine ausländischen Partnerinnen oder Partner akzeptieren. Hier in Indien werden über 90 Prozent der Ehen immer noch arrangiert. Wenn die Familie deines Freundes sehr traditionell und diesbezüglich konservativ ist, werden große Schwierigkeiten auf euch zukommen.
Viele indische Männer halten diesem Druck nicht stand und entscheiden sich dann doch für eine traditionelle, arrangierte Ehe.
Die Liebe, der gegenseitige Respekt und eine weltoffene Haltung werden euch helfen, schwierige Situationen zu meistern.
Ich hoffe, dass meine Antworten dir ein wenig weiterhelfen und dir Mut machen. Jeder Weg ist einzigartig, und jede Liebesgeschichte ist anders. Auch wenn es Herausforderungen gibt, wirst du sehen, dass es viele wunderbare Momente gibt, die diese Reise so besonders machen.
Ich wünsche dir alles Gute und freue mich, weiter von dir zu hören, wenn du Fragen hast oder einfach reden möchtest.
Mit herzlichen Grüßen
Irène
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