Der Goldene Tempel von Amritsar

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Schon seit Jahren wollte ich den Goldenen Tempel von Amritsar besuchen, aber irgendwie kam immer etwas dazwischen. Als Suriyan hier in Chennai die zweite Klasse besuchte, wurden für die Weihnachtsfeier alle Schüler einem indischen Bundesstaat zugeordnet. Die Kinder sollten entsprechende traditionelle Kleidung und ein passendes Symbol tragen. Suriyan war Vertreter vom Punjab. Bei einer Kleidervermietung fanden wir schnell ein grünes Kostüm mit Turban. Doch das Symbol, der Goldene Tempel, zeigte sich als große Herausforderung. In ganz Chennai suchte ich vergeblich ein Modell und schließlich blieb mir nichts anderes übrig als selbst zu basteln. Mein home-made Kunstwerk überlebte natürlich nicht lange und landete kurz darauf im Müll.

So freute es mich unglaublich, als wir anfangs Januar 2019 einige Tage in den Punjab reisten. Am späteren Nachmittag erreichten wir Amritsar. Im Vergleich zu Chennai wirkte die Stadt ärmlich und heruntergekommen. Sofort fielen mir am Himmel, den Bäumen und den elektrischen Leitungen die bunten Drachen auf. Drachen steigen zu lassen, hat im Punjab Tradition.

Am späten Abend gingen wir dann zum wichtigsten Pilgerort der Sikhs, dem Goldenen Tempel von Amritsar.

Hier einige interessante Fakten über den Goldenen Tempel:

Man erzählt, dass dieser Ort, lange bevor der Tempel gebaut wurde, ein ganz besonderer Ort war. Ursprünglich mitten im Wald an einem kleinen, stillen See sollen viele Heilige und Weise an dieser Stelle gebetet haben. Der Legende nach soll sogar der heilige Buddha hier gewesen sein. Auch Guru Nanak, der die Religion der Sikhs gestiftet hat, suchte am See die Stille und meditierte.

Gegründet wurde das Heiligtum der Sikhs im 16. Jahrhundert vom vierten Guru Ram Das Sahib. Im Laufe der Zeit wurde der Tempel immer wieder von den Mogulen und den Afghanen zerstört und danach noch prächtiger aufgebaut.

Maharaja Ranjit Singh, der Herrscher über Punjab im frühen 19. Jahrhundert ließ das Heiligtum mit Gold überziehen. Nach vielen umfangreichen Renovationen, die von Künstlern und Fachleuten aus ganz Indien vorgenommen wurden, ist das Heiligtum heute mit 750 Kilo Gold bestückt. Der heutige Wert des Goldes beläuft sich auf mehr als 26 Millionen Euros!

Die Architektur der Anlage ist ein Stilmix aus hinduistischen und islamischen Einflüssen. Viele Blumen und Tiermotive sind kunstvoll in die Goldplatten eingraviert.

Umgeben ist der Goldene Tempel von dem künstlich angelegten Amrit Sarovar, dem Nektarbecken, das vom Ravi Fluss gespeist wird. Viele Koifische schwimmen darin und viele glauben, dass das Wasser heilende Kräfte hat.

Der Harmandir Sahib, so wird der Goldene Tempel auch genannt, ist von vier verschiedenen Seiten zu erreichen. Dies soll alle Willkommen heißen und die Offenheit symbolisieren. Die Sikhs lehnen das Kastensystem ab und glauben an die Gleichheit aller Menschen, egal welchen Status, Bildung und Hintergrund jemand hat.

Die umfangreichen Kosten der Instandhaltung wird ausschließlich durch Spenden finanziert. Viele Freiwillige helfen ehrenamtlich bei allen anfallenden Arbeiten.

Mehr als drei Millionen Besucher kommen jeden Monat nach Amritsar.

Vor dem Tempelareal kauften sich die Männer unserer Gruppe für 10 Rupees orange Kopftücher. Die nette Verkäuferin warnte uns vor Taschendieben, die in den großen Menschenmengen von Gläubigen und Touristen erfolgreich ihre Geschäfte betreiben.

Im Goldenen Tempel müssen sowohl Frauen wie auch Männer eine Kopfbedeckung tragen. Viele Sikh-Wächter mit gefährlich aussehenden Speeren passen gut auf, dass die Regeln umgesetzt werden. Bevor man den Tempel betreten darf, muss man seine Schuhe und Socken abgeben. Durch ein Wasserbecken watend, wäscht man die Füße. Der Marmorboden fühlte sich eiskalt an und ich war froh, dass fast überall Teppiche ausgelegt waren. Langsam stieg uns Kälte des Winters in die Knochen.

Doch der Anblick der riesigen Tempelanlage entschädigte uns mehr als genug. Der glanzvolle, wunderschöne Goldene Tempel, der sich im Nektarbecken spiegelte, nahm mir fast den Atem und ich staunte wie ein kleines Kind. Dieses Gefühl der Ergriffenheit und der Andacht erleben wohl die meisten Besucher, bevor die Handys und Kameras gezückt werden, um viele Bilder zu knipsen.

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Jeden Abend findet gegen 22:15 Uhr (je nach Jahreszeit) die Palki Zeremonie statt. Die Heilige Schrift des Sikhismus, der Guru Granth Sahib wird in einer goldig- verzierten Sänfte (Palki) vom Harmandir Sahib zum Akal Takht getragen. Der Akal Takht, ein Gebäude im Komplex der Anlage, ist der Thron des zeitlosen Einen, d. h. der Sitz vor Gott. Dort wird das heilige Buch über die Nacht sorgfältig gelagert. Die Heilige Schrift der Sikhs ist eine Sammlung von hingebungsvollen Gedichten und Hymnen, die von den zehn Gurus und auch von islamischen und hinduistischen Weisen komponiert und geschrieben wurden.

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Die Palki Zeremonie ist ein besonderes Erlebnis. Andächtig und mit viel Liebe wird zuerst die goldene Sänfte (Palki) von einigen Männern mit vielen orange-gelben Blumengirlanden geschmückt. Danach ziehen sie, die Palki auf ihren Schultern tragend, zum Harmandir Sahib, zum Allerheiligsten. Mit der Heiligen Schrift kehren sie danach zurück, die ganze Zeit über Lobgesänge singend und verschwinden schließlich im Akal Takht.

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Morgens gegen 4:15 Uhr wird die Heilige Schrift wieder zeremoniell in den Harmandir Sahib getragen.

Sofort nach der Zeremonie begannen viele junge Sikhs die Teppiche aufzurollen, die Absperrgitter zu polieren und den Boden putzen. Es ist unglaublich, was hier an Freiwilligenarbeit (Seva) geleistet wird.

Nach der Palki Zeremonie machten wir uns auf dem Weg zum Harmandir Sahib. Je näher wir zum Heiligtum kamen, desto größer wurde das Gedränge. Ich versuchte, mich dicht hinter Prabhu zu halten, aber beim Eingang verlor ich ihn in der Menschenmenge. Dicht gedrängt, zwängte ich mich durch die Menschenmassen. Es war mir echt zu viel und ich geriet fast etwas in Panik. Trotzdem nahm ich die wunderbare Musik und den Gesang wahr. Auch die unermessliche Pracht und die wunderschönen Stoffe im Innern fielen mir auf. Zwei Männer rollten einen äußerst kostbaren Teppich zusammen und ich war froh, dass ich im Gedränge langsam den Ausgang erreichte und wieder auf meine Leute traf.

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Eigentlich hatten wir geplant im Langar, der Gemeinschaftsküche zu essen. Jeder Gurdwara (Sikh Tempel) bietet den Besuchern kostenlose vegetarische Mahlzeiten. Im Langar des Goldenen Tempels wird rund um die Uhr gekocht. Auch hier helfen viele Freiwillige mit und es werden gegen 35‘000 bis 40‘000 Essen pro Tag abgegeben. An bedeutsamen Fest- und Feiertagen auch 100‘000! Die warmen Mahlzeiten nimmt man in langen Reihen am Boden sitzend zu sich. Alle müssen auf dem Boden sitzen. Auch dies ein Symbol der Gleichheit aller Menschen.

Doch wir waren so durchgefroren, dass wir beschlossen, unser wohlverdientes Nachtessen im Hotel zu uns zunehmen.

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Mehr über die Geschichte des Punjabs findest du hier:

https://meinlebeninindiendotblog.wordpress.com/2019/01/28/das-land-der-sikhs-blutgetraenkt-und-zweigeteilt/

1984 wurde der Goldene Tempel von der indischen Armee gestürmt. Mehr Informationen dazu findest du hier:

https://meinlebeninindiendotblog.wordpress.com/2019/01/29/im-land-der-sikhs-die-operation-blue-star/

Jallianwallah Bagh, Amritsar:

https://meinlebeninindiendotblog.wordpress.com/2019/01/30/jallianwala-bagh-in-amritsar/

Informationen zum militärischen Spektakel an der Attari-Wagah-Border findest du hier:

https://meinlebeninindiendotblog.wordpress.com/2019/02/01/attari-wagah-border/

 

10 Antworten

      1. Das muss eine sehr solidarische oder sehr reiche Gemeinschaft sein! Jetzt wo ich das schreibe erinnere ich mich , dass zum Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015, als die Bahnhöfe voll waren eine Gruppe Sikhs warmes Essen verteilt hat …..

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