Cricket ist der Nationalsport Indiens. Das Interesse und die Begeisterung scheint alle zu packen vom Kleinkind bis zum Greis, unabhängig vom Geschlecht oder der Religionszugehörigkeit. Was keine politische Partei oder Religion schafft, gelingt dem Cricket-Sport problemlos, er verbindet alle Menschen Indiens zu einer Nation.
Da Cricket von den ehemaligen Kolonialherren nach Indien und auch in die andern Kolonien gebracht wurde, ist der Erfolg dieser englischen Sportart erstaunlich. Bei einer Länderspielübertragung sitzt die halbe Nation vor dem Fernseher und fiebert mit. 600 Millionen US Dollar wurden für die Ausstrahlungsrechte hingeblättert. Die Spieler der Nationalmannschaft werden gefeiert wie Nationalhelden und brauchen Bodyguards um sich in der Öffentlichkeit zu bewegen.
Ende Januar 2007 erlebte ich meinen ersten Cricket-Match, ein Länderspiel West Indies (Karibik) gegen India. Ein Länderspiel dauert vier Spieltage und der dritte wurde in Chennai gespielt. Da Indien bereits zwei Siege zu verzeichnen hatte, stand für sie nicht viel auf dem Spiel, denn verlieren konnten sie im Gesamten gar nicht mehr. Mit der Autoriksha tuckerten wir zum Stadion, wo wir auf viele Fans in ausgelassener Stimmung trafen. Indienfähnchen und -fahnen wurden geschwungen und man hörte die ersten Schlachtrufe. Unsere Tickets, die Prabhu für den Preis von 240 Franken erstanden hatte, mussten wir sicherlich sechs Mal vorzeigen, bis wir schließlich auf unseren Plätzen sassen. Der Inhalt meiner Handtasche wurde zweimal durchsucht, als ob ich eine Waffe oder sonst was Verbotenes mitführen würde! Aber wahrscheinlich war es für die Polizistinnen einfach spannend, ihre Neugier zu stillen und in eine Handtasche einer Weißen zu schauen. Habe meinem Ehegatten wegen der nicht ganz preisgünstigen Tickets, die mein Haushaltsbudget übersteigen, natürlich die Leviten gelesen, aber er hat sich elegant mit der Methode „Honig ums Maul schmieren“, die jede Frau gerne hört, herausgeredet. „Dies doch dein erster Cricketmatch. Für dich ist doch nichts zu teuer, …“ Dabei ist er schlicht und einfach ein indischer Cricketfanatiker!
Die Tickets waren übrigens zwei Stunden nach Verkaufsstart alle weg und wurden danach auf dem Schwarzmarkt zu stolzen Preisen weiterverkauft. Eigentlich habe ich für die teuren Tickets einen speziellen Logenplatz erwartet oder wenigstens einen kleinen Schwatz mit dem Superstar Rahul Dravid oder Sachin Tendulkar, aber daraus wurde nichts. Ganz gewöhnliche hellgrüne Kunststoffschalen-Sitze, in langen Reihen aneinandergehängt, erwarteten uns und da sah ich, dass sich viele 240 Franken für ein Cricketspiel leisten können. (Die billigsten Plätze kosten übrigens 12 Franken.) Im Publikum sassen viele Männer, aber auch kleine Gruppen von jungen Frauen, Ehepaare und ganze Familien von den Kids bis zu den Großeltern.
Da ein Cricket-Match mindestens sieben Stunden dauert und ich mich nicht einen ganzen Tag auf einem hellgrünen Schalensitz langweilen wollte, musste ich mich wohl oder übel mit den Cricket-Spielregeln auseinandersetzen. Wikipedia hilft in solchen Fällen immer weiter und macht Unwissende etwas schlauer. Gerne verschone ich euch von einer langen Abhandlung der Spielregeln. Ganz kurz gesagt: Cricket ist eine komplizierte Form von Brennball. Die Stimmung des Matchs mitzuerleben, war wirklich ein Erlebnis. „U-A-India“ wurde geschrien, Wellen aus Menschenhänden gingen rundherum durchs Stadion, die geliebten Stars wurden angefeuert. Plötzlich standen alle um uns herum auf und spähten interessiert, neugierig zur linken Tribüne. Ein Filmstar aus Tamil Nadu hat sich scheinbar den Cricketmatch mit seiner Familie angeschaut.
Auch für die Verpflegung wurde gesorgt. An vielen Ständen konnte man sich warmes Essen, Snacks und Getränke kaufen. Doch viele nahmen sich das Essen von daheim mit. Mutters Küche schmeckt eben doch am besten. Dass man innerhalb von 7 Stunden Spielzeit auch mal ein stilles Örtchen aufsuchen muss, liegt auf der Hand. Doch bei zwei Toiletten für die Ladies in unserem Sitzbereich, wo eine durch Verschmutzung außer Betrieb war, zeigte sich dies gar nicht so einfach … Indien lässt wieder mal grüßen!
Die Inder starteten als Schlagmannschaft und mit dem jungen Spieler Robin Uthappa gelang ihnen ein fulminanter Anfang. Er erzielte mit genialen Schlägen 70 Runs, eine beachtliche Leistung. Doch die West-Indies entschieden das Spiel letztlich doch ziemlich klar für sich. Als sich zeigte, dass Indien mit grosser Wahrscheinlichkeit verlieren würde, leerte sich das Stadion zunehmend. Scheinbar können es die Inder nicht ertragen, ihre Helden verlieren zu sehen. Ganz toll fand ich, dass nicht nur für die eigene Mannschaft applaudiert wurde, gute Schläge der West Indies wurden auch Beifall spendend zur Kenntnis genommen und als der Superstar der West Indies, Lara (mal einen Namen, den ich mir gut merken kann!), das Spielfeld verließ, wurde ihm richtig zu gejubelt.
Als das Spiel zu Ende war, wurde der beste Spieler des Tages geehrt, die beiden Captains gaben ein Fernsehinterview und wir fuhren mit dem Bus für je drei Rupien heimwärts …