Gewalt gegen Frauen in Indien

Demonstration gegen Gewalt an Frauen

Die brutale Vergewaltigung und Ermordung einer Assistenzärztin in Kolkata – ein kritischer Blick auf ein andauerndes Problem

Die Nachricht über die grausame Ermordung und Vergewaltigung einer jungen Assistenzärztin in Kolkata hat mich zutiefst schockiert und empört. Solche grausamen Übergriffe auf Frauen sind leider in Indien keine Seltenheit, und dieser Fall erinnert schmerzlich an die tief verankerten Missstände in der indischen Gesellschaft. Trotz zahlreicher Proteste, strengerer Gesetze und öffentlicher Aufrufe nach Gerechtigkeit bleibt das Problem der sexuellen Gewalt gegen Frauen in Indien gravierend. 

Laut den nationalen Statistiken wurden im Jahr 2022, dem letzten Jahr, für das Daten öffentlich verfügbar sind, in Indien fast 32’000 Vergewaltigungen angezeigt. Experten zufolge untergräbt diese Zahl die Wirklichkeit massiv. Viele Vorfälle werden nie gemeldet und diejenigen, die zur Anzeige gebracht werden, schaffen es selten in die Medien. 

In regelmäßigen Abständen schaffen es besonders grausame Fälle in die Nachrichten und lösen nationale und internationale Empörung aus. Beispielsweise der Fall einer jungen Studentin, die 2012  in einem Bus in Delhi von einer Gruppe brutal vergewaltigt und danach am Straßenrand wie Müll zum Sterben zurückgelassen wurde. 

Oder der Fall einer 19-jährigen Landarbeiterin, die 2020 in Uttar Pradesh von Männern aus den oberen Kasten ihres Dorfes vergewaltigt wurde. Auch sie verlor ihr Leben. 

Im März führte die Massenvergewaltigung einer Touristin, die mit ihrem Mann auf dem Motorrad unterwegs war, zu großer Empörung. Das spanisch-brasilianische Paar hatte in Jharkhand campiert. Sie wurden ausgeraubt und die Frau mehrmals vergewaltigt. Glücklicherweise überlebten die beiden. 

So geschah es auch am 9. August in einem Krankenhaus in Kolkata, im Bundesstaat Westbengalen. Eine junge Assistenzärztin, die Nachtdienst hatte, wurde vergewaltigt und anschließend ermordet. 

Der Fall hat das ganze Land aufgerüttelt und zutiefst schockiert. Das Krankenhaus versuchte scheinbar den Vorfall zuerst zu vertuschen, in dem von einem Suizid berichtet wurde. Immer noch sind viele Fragen ungeklärt und müssen aufgeklärt werden. Es ist klar, dass es mehrere Täter gab, aber bisher wurde nur ein Mann verhaftet. In einem Land, wo Korruption regiert, ist es oft schwierig, die Wahrheit ans Licht zu bringen. 

In ganz Indien kam es zu großen Protesten. Viele Frauen und Frauenorganisationen, aber auch viele Ärzte, Ärztinnen und Fachleute im medizinischen Bereich zeigten lautstark ihre Betroffenheit, legten teilweise ihre Arbeit nieder und verlangten nach Gerechtigkeit, Aufklärung und nach besseren Arbeitsbedingungen und Sicherheit für Frauen. 

Proteste gegen Gewalt an Frauen

Auf der einen Seite sind diese massiven öffentlichen Aufschreie und Proteste sinnvoll. Sie setzten die Politik unter Druck, endlich etwas zu unternehmen und die Täter hart zu bestrafen. 

Auf der anderen Seite herrscht in Indien immer noch eine Kultur des Schweigens und der Scham, die oft verhindert, dass Frauen diese Verbrechen anzeigen oder offen darüber sprechen.

In vielen Fällen werden Opfer von sexueller Gewalt nicht als Überlebende, sondern als „beschädigte“ Frauen betrachtet. Sie werden von der Gesellschaft verurteilt und ihre Familien stehen unter großem sozialen Druck. Das Ergebnis ist, dass viele Verbrechen ungemeldet bleiben, weil Frauen und ihre Familien Angst haben, stigmatisiert zu werden. Diese gesellschaftliche Haltung trägt dazu bei, dass Täter weiterhin das Gefühl haben, dass sie ungestraft davonkommen können.

Leider haben die Proteste in den letzten Jahren wenig dazu beigetragen, das Leben von indischen Frauen zu verbessern. Die Zahl der angezeigten Vergewaltigungen hat im letzten Jahrzehnt zugenommen. Das liegt wahrscheinlich auch an der größeren Bereitschaft, solche Vergehen anzuzeigen. Doch das Risiko, Opfer eines solchen Verbrechens zu werden, ist kaum gesunken. 

Öffentliche Räume und Plätze sind immer noch fest in Männerhand und von Frauen wird erwartet, dass sie selbst Vorsichtsmaßnahmen treffen, wenn sie ihr Zuhause, was oft auch nicht sicher ist, verlassen. 

Ein Grund dafür ist auch, dass die Regierung ihre eigenen Gesetze nicht durch- und umsetzt. 

Der Fall in Kolkata hätte beispielsweise leicht verhindert werden können, wenn es sichere Ruheräume für das medizinische Personal geben würde. Solche Ruheräume wären in den indischen Arbeitsschutzvorschriften bereits vorgeschrieben.

Während bei einigen besonders grausamen Taten durch Demonstrationen und Proteste die Gerichtsprozesse beschleunigt wurden, gehen die meisten Gerichtsverfahren quälend langsam voran. Die meisten Opfer finden keine Gerechtigkeit und nur etwa ein Viertel der verhandelten Fälle führt zu einer Verurteilung der Täter. 

Gewalt gegen Frauen wird in der patriarchalen Gesellschaft Indiens immer noch stillschweigend akzeptiert. Fast die Hälfte der von der Regierung zwischen 2019 und 2021 befragten Inderinnen und Inder, sowohl Männer als auch Frauen, gaben an, dass es manchmal gerechtfertigt sei, wenn ein Ehemann seine Frau für respektloses Verhalten ihm oder seinen Eltern gegenüber schlägt oder bestraft. So ist in Indien Vergewaltigung in der Ehe kein Verbrechen. 

Zum Unabhängigkeitstag am 15. August sprach der Premierminister Narendra Modi in seiner Rede kurz über Gewalt gegen Frauen. Er erwähnte den Fall in Kolkata zwar nicht ausdrücklich, aber er meinte, man müsse mit härteren Strafen durchgreifen und dadurch Angst verbreiten. 

Doch genau hier liegt das Problem. Obwohl es in den letzten Jahren in Indien einige Fortschritte bei der Gesetzgebung zum Schutz von Frauen gegeben hat und die Gesetze verschärft wurden, bleibt die tatsächliche Umsetzung dieser Gesetze oft mangelhaft. In vielen Fällen dauert es Jahre, bis Opfer Gerechtigkeit erfahren, wenn überhaupt. Das langsame Justizsystem, die oft korrupte Polizeiarbeit und das mangelnde Vertrauen der Bevölkerung in die Behörden tragen dazu bei, dass die Täter oft nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Die schreckliche Vergewaltigung der Assistenzärztin in Kolkata ist ein Weckruf, dass noch viel Arbeit getan werden muss. 

Aber es gibt Hoffnung – in den Stimmen der Frauen, die trotz allem weitermachen und sich in ihren Gemeinschaften, gegen Ungerechtigkeiten erheben und sich für die Rechte der Frauen stark machen.

2 Antworten

  1. Jeder Fall ist erschreckend und Einzelheiten will man sich gar nicht vorstellen. Aber auch im Großen und Ganzen wirft das ein schlechtes Bild auf das Land , denn eines ist klar, diese Nachrichten hört man im Westen auch. Eine Kollegin fliegt demnächst dienstlich nach Indien und hat mich ausgiebig befragt, wie „es dann da so ist als Frau“…

    1. Ja, das ist leider so. Die negativen Schlagzeilen schaden Indien sehr. Wenigstens steigt durch die riesigen Proteste der Druck auf die Politik und die Arbeitgeber. Liebe Grüsse nach Berlin Irène

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