Unsere Reise in den Punjab hat mir sehr gut gefallen. Nach zwei Tagen in Amritsar sind wir in die Nähe von Hoshiarpur gefahren und haben dort auf einer Farm übernachtet. Obwohl es regnete, war die Fahrt dorthin wunderschön. Ich konnte mich fast nicht sattsehen an den fast endlos erscheinenden, grünen Weizenfeldern. Ab und zu sorgten gelb leuchtende Streifen mit Raps und Pappelwälder für Abwechslung.
Die Dörfer, die wir durchquerten, wirkten armselig und die Straßen waren in einem sehr schlechten Zustand. Der Punjab gehört zu den reichsten Bundesstaaten Indiens. Auf dem Land spürt man jedoch von diesem Wohlstand, bis auf einige herrschaftliche Farmhäuser, wenig.
In Citrus County übernachteten wir in gemütlichen Zelten. Der Bauer und seine Familie, die eine Orangenplantage besitzen, generieren mit diesen Unterkünften einen Zusatzverdienst. Auch stehen viele Pappeln auf seinem Land. Diese werden alle fünf Jahre abgeholzt und zu Sperrholz verarbeitet. Da gerade die Orangensaison begonnen hatte, konnten wir verschiedene Sorten probieren und uns die riesige Plantage ansehen.
Der indische Bundesstaat, der an Pakistan grenzt, ist jedoch definitiv mehr als die Kornstube Indiens.
Punjab bedeutet „das Land der fünf Flüsse“ und ist das spirituelle Zuhause der Sikhs. Der Sikhismus ist eine relativ junge Religion, die erst im 15. Jahrhundert von Guru Nanak Dev ins Leben gerufen wurde. Es gibt rund 25 bis 27 Millionen Anhänger und davon leben 75 % im indischen Bundesstaat Punjab.
Überall sieht man die schönen Männer mit ihren knallbunten Turbanen und den gepflegten Bärten. Je mehr ich über den Sikhismus lese und erfahre, desto spannender finde ich diese Religion. Es ist eine weltoffene Gemeinschaft, die versucht religiöse Weisheit ohne Dogmen und Aberglauben im Alltag zu praktizieren.
Sie glauben an einen gestaltlosen Schöpfergott, der weder weiblich noch männlich ist. Das Kastenwesen lehnen sie ab und betonen immer wieder die Gleichheit aller Menschen, auch Frauen nehmen bei den Sikhs eine gleichberechtigte Stellung ein.
In den Gurdwaras, den Tempeln der Sikhs, sind auch Andersgläubige stets Willkommen. Sikhs versuchen, allen Menschen als Bruder oder Schwester zu begegnen. Seinen Wohlstand und seine Erträge mit anderen zu teilen, ist ein wichtiger Grundsatz. So führt jeder Gurdwara einen Langar, eine ehrenamtliche Gemeinschaftsküche, die kostenlos vegetarisches Essen abgibt.
Schaut man jedoch in die geschichtliche Vergangenheit des Punjabs, dann tun sich tiefe Abgründe auf. Der Punjab wurde schon früh besiedelt und ist die Wiege der Induszivilisation. Um das fruchtbare Land wurde immer gekämpft. In seiner Geschichte hat es Griechen, Perser, Mongolen, Mogul-Kaiser, afghanische Könige, Sikh-Herrscher und natürlich die britische Besatzung gesehen.
Bis 1605 konnte sich der Sikhismus weitgehend ungestört entwickeln. Danach änderte sich dies abrupt. Unter dem Mogulkaiser Jahangir wurde ein Zeitalter der Gewalt gegen Andersgläubige eingeleitet und die Mitglieder der Glaubensgemeinschaft wurden verfolgt und getötet. Als der fünfte Guru Arjan zu Tode gefoltert wurde, beschlossen die Sikhs sich zur Wehr zu setzen und bauten ihre Streitkräfte aus. 1675 wurde der neunte Guru von den Machthabern in Delhi hingerichtet.
Der zehnte und letzte Guru Gobind Singh gründete 1699 die Bruderschaft Khalsa. Diese machte es sich zum Ziel gegen Tyrannei und religiöse Intoleranz zu kämpfen.
Nach dem Zusammenbruch der Mogulherrschaft befand sich das Land wieder im Krieg. Nach den Marathen übernahmen 1759 die Afghanen die Herrschaft. In dieser unstabilen politischen Situation gelang es dem Sikh-Herrscher Ranjit Singh, die Macht im Punjab an sich zu bringen und ein Reich der Sikhs zu etablieren.
Doch nach seinem Tod 1839 zerfiel das Reich rasch und nach weiteren Kriegen wurde der Punjab 1849 von der britischen Kolonialmacht eingenommen. Die Briten hatten grosses Interesse, die Sikhs zu fördern. Sie rekrutierten viele der tapferen Sikh-Kämpfer für ihre Armee. Der Punjab spielte für die Briten eine wichtige Rolle und sie investierten viel in die Infrastruktur und in Bildungsmaßnahmen.
Ab den 1920er Jahren entwickelte sich jedoch die Unabhängigkeitsbewegung.
Im August 1947 sah sich Großbritannien gezwungen sein indisches Kolonialreich in die Selbstständigkeit zu entlassen.
Am Kartentisch zog der englische Rechtsanwalt Cyril Radcliffe die Grenze zwischen Indien und Pakistan, wobei zu diesem auch noch Ostbengalen fiel, das heutige Bangladesch. Die Radcliffe-Linie teilte die großen Provinzen Punjab und Bengalen, deren Bevölkerung etwa zur Hälfte muslimisch und hinduistisch war, faktisch in der Mitte.
Schreckliche Gewalt auf beiden Seiten waren die Folge. Schätzungen gehen davon aus, dass auf jeder Seite rund sieben Millionen Menschen ihre Heimat verlassen mussten, um in die neuen Landesteile zu fliehen. Bis zu einer Million sollen getötet worden sein. Die Sikh-Gemeinschaft war von der Teilung des Punjabs natürlich stark betroffen und viele Sikhs waren gezwungen alles zurückzulassen und aus dem neuen pakistanischen Punjab zu fliehen.
Das Machtvakuum, das die Briten durch ihren schnellen Abzug hinterliessen, nutzten einflussreiche Menschen schamlos aus, um sich Land und Besitz anzueignen oder einfach vollendete Tatsachen zu schaffen. Noch Monate später fand man an Straßenrändern zerstückelte Leichen. Die indische Stadt Amritsar, die an der Grenze zu Pakistan liegt, wurde durch wochenlange Ausschreitungen in Schutt und Asche gelegt. Es dauerte über 5 Jahre sie wieder aufzubauen.
Die tiefen Wunden, die den Menschen durch die Teilung zugefügt wurden, sind noch heute spürbar.
Auch die Operation Blue Star (1984), die von der damaligen Premierministerin Indira Gandhi genehmigt wurde, richtete ein erneutes Blutbad gegen die Sikhs an. Doch davon mehr in einem nächsten Artikel.
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9 Antworten
Vielen Dank für den interessanten Bericht, Irene. 🙂 In West Kanada leben viele Sikh und ich habe sogar schon eine Tanzstunde im Bhangra genommen, dem Erntetanz der Punjab Farmer. Mein Bekannter Gurdeep Pandher lebt in Whitehorse und setzt alles daran, diesen Tanz zu verbreiten. Auf YouTube tanzt er gefühlt mit dem halben Yukon 😉 Jetzt freue ich mich, etwas mehr über die Hintergründe erfahren zu haben. Liebe Grüße, Luisa
Das ist ja toll! Im fernen Kanada tanzt du Bhangra. So wird die grosse Welt wieder klein. LG nach Kanada Irène
Mir gehts wie dir ich finde den Sikhismus extrem spannend, v.a. seit ich näheren Kontakt mit einigen Sikhs hatte. Inmitten all der Hindugottheiten einen monotheistischen Glauben zu begründen, aus einer vom Kastenwesen bestimmten Gesellschaft heraus eine Religion von gleichgestellten zu entwickeln… Fast am beeindruckensten fand ich anfangs, dass alle den gleichen Nachnamen tragen 😀 und dann einerseits die betonte Friedfertigkeit und andererseits ja auch eine kriegerische Seite…
Ja, das mit den gleichen Namen finde ich auch interessant. Der 10. Guru Gobind Singh hat dies damals eingeführt. Einerseits um die Bruderschaft zu stärken, andererseits um die Gleichheit aller zu betonenden. Den Männern wurde der Name Singh (Löwe) und den Frauen Kaur (Prinzessin) zugefügt.
Richtig spaßig war das bei der Arbeit, mit gleich drei Sikhs – sämtliche Gäste und Lieferanten waren immer reichlich verwirrt, wenn sie den Herrn Singh sprechen wollten – „Ja welchen hätten sie denn gern, wir haben drei davon“ 😁