Aberglauben in Indien

Aberglauben in Indien

Aberglauben in Indien – ein allgegenwärtiges Phänomen, das überall sichtbar ist. Es gibt zahlreiche Alltagsrituale, die Unglück und böse Einflüsse fernhalten sollen. Die Fülle an abergläubischen Praktiken ist schier unendlich, und früher erstaunte es mich, dass auch gebildete Menschen immer noch an diesen Ritualen festhalten. Eine Erklärung fand ich bei meinem Göttergatten. Seit seiner Kindheit ist er auf einige Dinge getrimmt worden, und so wurden abergläubische Rituale zur Gewohnheit. Ein Beispiel ist seine Art, die Füße zu waschen: Am Schluss lässt er das Wasser immer noch von hinten über die Ferse laufen. Tut man dies nicht, soll es Unglück bringen.

Einmal hatte mein Mann sein Portemonnaie zu Hause vergessen und ein Freund von ihm holte es bei uns ab. Ich öffnete die Tür und streckte ihm das Geld entgegen, aber seltsamerweise nahm er es nicht an sich. Leicht verwirrt schaute ich zu, wie er einen Schritt über unsere Türschwelle machte und erst dann die Geldbörse an sich nahm. Jetzt dämmerte es mir langsam: Geld sollte man nie über die Türschwelle übergeben! Viele glauben, dass dies die eigenen Vermögenswerte schmälert und man auf diese Art sozusagen das eigene Geld zum Fenster rausschmeißt. Diese Regel wird von den meisten im Alltag beherzigt.

Aberglaube und Wohlstand

Um das Geld und den Wohlstand zu erhalten, gibt es im indischen Alltag kleine, aber bedeutende Dinge zu beachten.

Am Freitag, dem Tag der Göttin Lakshmi, zahlen die meisten Inder keine Rechnungen. Damit der Wohlstand erhalten bleibt oder sich die finanzielle Situation verbessert, sollte das Geld an diesem Tag zu Hause ruhen. Aus diesem Grund begleicht Prabhu seine Rechnungen und die Lohnzahlungen seiner Arbeiter immer am Samstag.

Bevor es ganz dunkel wird, gehen in Indien die Lichter an und die Haustüren werden weit geöffnet. Man will die Göttin Lakshmi ins Haus einladen und willkommen heißen. Lakshmi bringt Wohlstand und Glück ins Haus.

Nachdem es dunkel geworden ist, sollte man das Haus nicht mehr reinigen oder die Böden wischen, denn mit dem Schmutz würde man auch die “Lakshmi-Energie”- beziehungsweise den Wohlstand aus dem Haus hinaustragen.

Bei Geldgeschenken sollte man immer darauf achten, dass man eine Rupie als Glücksbringer dazu gibt. Ein geschenkter Geldbetrag sollte immer ungerade sein. Auf manchen Geschenkumschlägen ist eine 1 Rupienmünze bereits aufgeklebt.

Aberglauben in Indien
Eine Rupee-Münze mit Lotusblumen

Schutz vor dem bösen Blick

In Indien glaubt man an das Evil Eye – das böse Auge. Man geht davon aus, dass negative Gedanken wie Hass und Neid Einfluss auf unser Leben haben. Um sich davor zu schützen, gibt es viele Rituale und Schutzsymbole. Dämonenfratzen draußen vor dem Tor oder am Haus sollen das böse Auge ablenken. Auch ein aufgehängter Stein vor dem Hauseingang hat diese Schutzfunktion. Kolams oder Rangoli heißen nicht nur Besucher willkommen, sondern halten auch negative Energien fern. Auch unser Haus ist mehrfach vor dem bösen Blick geschützt.

Aberglauben in Indien
Dämonen-Fratze, um das böse Auge abzuwenden
Aberglauben in Indien
Dämonen-Kopf, um das böse Auge abzulenken
Kolam
Kolams werden täglich mit Kreidepulver vor den Hauseingang gestreut.

Unschuldige Babys und Kleinkinder muss man besonders vor dem bösen Auge schützen. Aus diesem Grund werden ihnen hässliche, schwarze Flecken ins Gesicht gemalt. Diese sollen den bösen Blick ablenken und vom Kind fernhalten.

Aberglauben in Indien
Schwarze Flecken sollen das böse Auge ablenken

An Autos und Lastwagen entdeckt man zum Schutz gegen das böse Auge oft einen Kinderschuh oder schwarze Schnüre. 

Natürlich stehen die Fahrzeuge meistens auch unter göttlichem Schutz. Die kleinen Altäre, die viele Inder auf dem Armaturenbrett in ihren Autos pflegen und mitfahren lassen, finde ich immer sehr berührend. Bevor man auf eine längere Reise geht, wird in der Regel auch eine „spirituelle Reiseversicherung“ im Tempel abgeschlossen. Ohne Pooja, die Segnung der Götter, geht in Indien fast gar nichts.

Mini-Altar im Auto
Mini-Altar im Auto

Vor Geschäften, aber auch in Privathäusern sieht man oft die Chilli-Limetten-Abwehr (Nimbu-Mirchi). Diese süß-saure Kette aus grünen Chilis und Limetten soll vor allem die unglücksbringende Göttin Alakshmi fernhalten. Da sie scheinbar eine Vorliebe für Scharfes und Saures hat, nimmt sie ihr Lieblingsessen bereits draußen ein und kommt so nicht ins Haus. Übrigens hilft Nimbu-Mirchi auch gegen Moskitos.

Aberglauben in Indien
Nimbu-Mirchi, die Limetten-Chili-Abwehr
Aberglauben in Indien
Auch Baustellen werden vor dem bösen Auge geschützt – auf den ersten Blick ist das etwas Gruselig!

Tiere und Aberglaube

Tiere werden in Indien oft als Glücks- oder Unglückssymbole betrachtet. Schwarze Katzen sind, wie in vielen anderen Kulturen, ein schlechtes Omen. Überquert eine Katze die Straße, gilt das als Warnzeichen. Elefanten hingegen bringen Glück, da sie mit Lord Ganesha, dem Elefantengott, in Verbindung gebracht werden.

Auch um die Geckos, die hier in Südindien in jedem Haus leben, weben sich viele abergläubische Geschichten. Wenn jemand spricht und ein Gecko dabei sein typisches Schnalzen macht, glaubt man, dass die Person die Wahrheit sagt. Manchmal kommt es vor, dass Geckos sich nicht mehr halten können und auf Menschen herunterfallen. Je nachdem, wo der Gecko landet, bringt das Glück oder Unglück.

Mehr über Geckos findest du hier.

Krähen gelten in Indien als Boten zwischen dem Jenseits und dem Diesseits. Kräht eine Krähe in der Nähe des Hauses, wird Besuch von Familienmitgliedern erwartet.

Mehr über Krähen findest du hier.

Weitere abergläubische Praktiken

Sehr lustig finde ich das Ritual von Ganapathi, einem Kollegen meines Mannes. Schreibt er etwas auf ein neues Blatt Papier, macht er, bevor er startet, immer ein kleines Ganesha-Symbol. Ganeshas Ohren und der angedeutete Rüssel sollen Hindernisse überwinden und Glück bringen.

Aberglauben in Indien
Ganesha-Symbol, um einen Brief zu beginnen

Eine Sonnen- oder Mondfinsternis gilt als schlechtes Omen, und man sollte in dieser Zeit vermeiden, nach draußen zu gehen. Insbesondere schwangeren Frauen wird geraten, im Haus zu bleiben, um ihr ungeborenes Kind nicht zu gefährden. Manche Familien kochen und essen an diesen Tagen nichts.

Ein trauriges Thema ist der Aberglaube, der sich um den Monatszyklus der Frau dreht. Die erste Menstruation eines Mädchens wird hier in Tamil Nadu groß gefeiert – mit Geschenken und viel Aufmerksamkeit. Doch der Glaube, dass eine Frau während ihrer Tage unrein ist, hält sich hartnäckig. Frauen dürfen während der Monatsblutung keinen Tempel betreten und in manchen ländlichen Regionen nicht einmal das Haus oder die Küche betreten. Viele glauben, dass Esswaren und Wasser durch eine menstruierende Frau schlecht werden. Doch in den Städten findet ein Wandel statt, und ich hoffe, dass sich die Situation auch für Frauen auf dem Land bald verbessert.

Aberglaube ist im indischen Alltag tief verwurzelt. Als Außenstehende aus dem Westen könnte man darüber schmunzeln und es als Unsinn abtun. Doch das wird den Indern in ihrer Frömmigkeit und ihrem Glauben nicht gerecht. Viele dieser kleinen Rituale berühren mich, weil sie oft aus Fürsorge eingehalten werden. 

Ich glaube zwar nicht an solche Dinge, aber solange sie niemandem schaden, respektiere ich sie. Mit dem Aberglauben rund um die Menstruation sieht das natürlich anders aus – doch auch hier ist glücklicherweise eine Veränderung im Gange.

4 Antworten

  1. Interessant, interessant. Steht dass denn auch alles irgendwo geschrieben? Ich könnt mir das alles gar nicht merken. Vermutlich ist aber immer jemand aus der älteren Generation um mich herum, der mich erinnern kann, oder?

    1. Ich denke nicht, dass dies aufgeschrieben wurde. Das sind abergläubische Traditionen, die über Generationen weitergegeben wurden. Liebe Grüsse nach Berlin PS: Fliegst du dieses Jahr nach Indien?

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