Im Süden von Tamil Nadu liegt die wunderschöne Tempelstadt Madurai. Sie liegt am Fluss Vaigai und zählt etwas mehr als eine Million Einwohner. Der Fluss trennt die Stadt in zwei Teile. Am südlichen Ufer liegt die ursprüngliche, historische Altstadt und am nördlichen Ufer befindet sich die Neustadt, die während der Kolonialzeit entstanden ist.
Madurai ist eine der ältesten Städte Südindiens und historisch sehr interessant. Bereits im 3. Jahrhundert vor Christus war es die Hauptstadt des Pandya-Reiches. Die Herrschaft über Madurai wechselte sich im Laufe der Zeit. 1310 stand die Stadt auch für kurze Zeit unter islamischem Einfluss des Sultanat von Delhi. 1327 gehörte Madurai zum Hindu-Königreich Vijayanagar. Die Nayaks von Madurai wurden als Militärstatthalter eingesetzt und im Jahr 1565 machten sich die Nayaks selbstständig und übernahmen die alleinige Herrschaft. Im 18. Jahrhundert wurde die Stadt von den Nawabs von Arcot unterworfen, bis sie 1801 an die Briten überging.
Ich war zweimal in dieser bunten, geschäftigen Stadt mit ihren Märkten und engen Gassen.
Die riesige Tempelanlage des Meenakshi-Tempels, das Wahrzeichen und die wichtigste Sehenswürdigkeit der Stadt, kann man schon von Weitem an seinen Gopurams, den Tortürmen erkennen. Von mehreren Ringstrassen umgeben, herrscht hier ein munteres Treiben. Viele Händler und Läden preisen ihre Waren feil. Bei über 10‘000 Menschen, die täglich den Tempel besuchen, ergibt sich schon das eine oder andere Geschäft.
Um in den Tempel zu gelangen, muss man erst seine Schuhe abgeben. Flughafen-Feeling kommt auf, wenn man den Meenakshi-Tempel betreten will. Professionell wird man durchgecheckt. Kameras darf man nicht in den Tempel nehmen. Männer und Frauen in kurzen Hosen werden übrigens nicht eingelassen.
Bei meinem ersten Besuch 2007 konnte man teilweise noch fotografieren, doch leider waren damals Renovationsarbeiten im Gange und die farbenprächtigen Tempeltürme mit Palmmatten verhüllt.
Die ältesten Teile des Meenakshi-Tempels stammen aus der Pandya-Zeit (12. -13. Jahrhundert). Die heutige Gestalt entstand unter der Nanyak-Herrschaft (16. -17. Jahrhundert). Der Tempel, der in dravidischer Architektur gebaut ist, ist mit seinen 6 Hektaren sehr weitläufig. Auch im Tempel herrscht emsiges Treiben. Der Tempel ist ein Ort der Andacht und des Gebets, aber es werden auch Geschäfte gemacht und es ist ein sozialer Treffpunkt.
Viele Paare, die einen unerwünschten Kinderwunsch haben, pilgern nach Madurai und beten zur Göttin Meenakshi. Sie ist die Schutzherrin über den Tempel. Meenakshi bedeutet übersetzt Fischauge. Es ist die Göttin mit den großen, wunderschönen und tiefgründigen Augen, die ihren Blick immer auf ihre Anhänger richtet. Meenakshi wird vor allem in Südindien verehrt und ist eine andere Erscheinungsform von Parvati. Sie ist die Schwester von Vishnu und die Gefährtin von Shiva. Meistens wird sie mit grüner Haut dargestellt. In Abbildungen vor der Heirat mit Sundareshwara (so nennt man Shiva in Madurai) erkennt man sie an ihren drei Brüsten. Als Attribut trägt sie einen grünen Papagei und einen Blumenstrauß, manchmal auch ein Schwert. Auch um Meenakshi webt sich eine interessante Geschichte, die sich im Tempel in vielen Abbildungen widerspiegelt. Wer sich für die indische Götterwelt und Architektur interessiert, tut gut daran sich einem Führer anzuvertrauen, denn alleine ist man von der riesigen Flut von Bildern und Figuren überfordert.
Der Legende nach blieb die Ehe vom Pandya König Malayadwaja und seiner Frau Kanchanamalai lange kinderlos. Das Paar wünschte sich innigst einen Sohn, der das Königreich einst übernehmen würde. König Malayadwaja war Lord Shiva sehr zugetan und um ihn zu verehren, ließ er im Wald einen großen Shiva-Tempel bauen. Gott Shiva erhörte seinen großen Kinderwunsch und aus dem Opferfeuer trat plötzlich ein Ayonija-Kind (ein Kind, das nicht aus dem Mutterleib geboren wurde). Es war ein Mädchen und es war bei seiner „Geburt“ bereits 3 Jahre alt und hatte 3 Brüste. Das Königspaar reagierte erst verwirrt und geschockt, doch da vernahmen sie Shivas Stimme:
„Behandelt eure Tochter Meenakshi wie einen Sohn. Sie wird einst euer Königreich führen. Wenn sie ihren zukünftigen Ehemann treffen wird, dann wird ihre dritte Brust abfallen.“
Das Königspaar tat alles wie geheißen und sie erzogen Meenakshi als würdige Nachfolgerin. Nach dem Tod ihres Vaters regierte sie das ganze Land mit Geschick und Weisheit. Sie war eine große Kriegerin, die beabsichtigte die ganze Welt zu erobern. Auf einem Feldzug ins Himalaya Gebirge forderte sie sogar Lord Shiva zum Kampf heraus. Doch bei seinem Anblick verschwand ihre dritte Brust und sie wurde ganz schüchtern und bescheiden, denn sie wusste, dass ihr zukünftiger Ehemann vor ihr stand. Die Heirat von Meenakshi und Sundareshwara (ein anderer Name für Lord Shiva) fand in Madurai statt. Viele Göttinnen und Götter besuchten das Fest, um die Ehe zu bezeugen. Die ehrenvollen Gäste verweigerten jedoch zu essen. Erst als Sundareshwara den Tandava-Tanz vorführte, kosteten sie von den Speisen. Durch die Heirat mit Sundareshwara veränderte sich Meenakshi komplett. Die Kriegerin wurde zur bescheidenen, treuen und untergebenen Ehefrau. Gemeinsam herrschte das göttliche Paar über das gesamte Königreich. Zusammen zeugten sie ihren Sohn Murugan, der später als Krieger und König das Reich übernahm.
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