Der Goldesel-Effekt in Indien

Goldesel

Der Goldesel im Märchen „Tischlein deck dich“ hat mich immer besonders beeindruckt. Schnell „bricklebrit“ flüstern schon scheißt das Eselchen Goldtaler. Wer hätte nicht gerne so ein Grautier im Stall oder sogar im Haus? Und was könnte man nicht alles von diesem Gold kaufen?

Der berühmte Psychoanalytiker Sigmund Freud setzte zu seinen Lebzeiten wahrscheinlich nie einen Fuß auf indischen Boden. Ansonsten hätte er wohl den Bricklebrit-Komplex oder den Goldesel-Effekt in seinen Schriften erwähnt.

Ich jedenfalls leide darunter! Und je älter ich werde, desto schlimmer wird es irgendwie. Überall wo ich hinkomme, meinen die Leute, dass ich Gold scheiße oder sogar unter goldiger Diarrhö leide. Komme ich daher, steigen die Preise rapide an, denn die weiße Maharani aus dem fernen Helvetien hat ja mehr als genug.

Natürlich hat es auch seine Vorteile, wenn man in den Genuss königlicher Verehrung kommt. Man wird bevorzugt und freundlicher behandelt. Auch werde ich überall wiedererkannt. In Indien kommt weiß definitiv vor braun. So werde ich manchmal in einer langen Warteschlange einfach durchgewunken oder der Manager kümmert sich höchstpersönlich um mich. Doch meine Wertvorstellungen legen sich bei solchen Sonderbehandlungen quer und mir sträuben sich die Nackenhaare. Warum soll ich schneller bedient werden? Das ist ungerecht und unfair. Das ist sogar rassistisch! Obwohl ich nicht gerne in der Schlange stehe, lehne ich inzwischen die Bevorzugungen dankend ab. Oft ernte ich erstaunte Blicke und manchmal sehen mich die Wartenden auch anerkennend an.

Auch weiße Touristen sind, wenn sie nicht grade wie Hippies rumlaufen, oft von dieser königlichen Aura umgeben. Nach der Indienreise schwärmen die meisten von der indischen Gastfreundlichkeit und Zuvorkommenheit, die sie erleben durften. Der Goldesel-Effekt lässt grüßen! Und da man so nett behandelt wird und der Service so ausgezeichnet ist, scheißt das ausländische, touristische Goldeselchen auch brav seine Goldmünzen in indischer Währung. Dass der nette, zuvorkommende Inder, die Angestellten unter ihm oft wie der letzte Dreck behandelt, bekommt der Gast selten mit.

Wie kann eine Nation, die jahrzehntelang von den Briten unterdrückt und ausgenommen wurde, die weiße Hautfarbe immer noch so bewundern?

Weiss vor braun, braun vor dunkelbraun und dunkelbraun vor schwarz. Wie krank ist dies denn?

Auch in der indischen Kosmetikindustrie lässt sich dies erkennen. “Fair and handsome” und “fair and lovely” sind hoch im Kurs. Hautcremes, Bodylotions und Deodorants, die dunkle Haut heller werden lassen, verkaufen sich wie warme Semmeln. Mit hellerer Haut hat man auch auf den Heiratsmarkt bessere Chancen. Bollywood zeigt es vor. Die großen Stars sind alle hellhäutig und die Bösewichte können oft nicht dunkel genug sein.

Obwohl in Indien das Kastensystem offiziell abgeschafft wurde, denken die Menschen immer noch in Kasten. Gut das Kästchen- oder Schubladen-Denken findet sich überall auf der Erde, aber in Indien ist es doch sehr ausgeprägt.

Wie war ich geschockt als ein mit uns befreundeter Brahmane, der sowohl in den USA und in England gelebt hat, meinem Mann gegenüber erwähnte, dass er eine private Krankenversicherung abgeschlossen hätte. Schon die Vorstellung mit Menschen aus unteren Kasten das Zimmer zu teilen, würde ihn ekeln. Ich konnte fast meinen Ohren nicht trauen, hatte ich diesen Mann doch weltoffen, aufgeschlossen, gebildet und durchaus sympathisch erlebt.

So denken insgeheim eben doch viele Inder und Inderinnen. Menschen aus unteren Kasten werden oft immer noch abgewertet und teilweise wie Abschaum behandelt. Auch werden Ehen in den gleichen Kasten arrangiert.

Ich will mich nicht beklagen. Mein Mann hat in der Schweiz lebend, meistens andere Blicke kassiert. Missmutige, unfreundliche und verächtliche Blicke. „Was tust du hier, du Ausländer“ – Blicke. Erst wenn er in seinem hervorragenden Deutsch gesprochen hat, bekam er Anerkennung und Respekt.

Da bin ich mit dem Goldesel-Effekt doch gesegnet!

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