Hier in Südindien sind Kokosnüsse allgegenwärtig. Auch in der Stadt ragen Kokospalmen hoch in den Himmel und beglücken die Bewohner mit ihren Früchten. Was auf den ersten Blick wie eine gewöhnliche Frucht erscheint, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als echtes Multitalent und Alleskönner: Die Kokosnuss ist Nahrungsmittel, Heilmittel, Opfergabe, Schutz gegen das böse Auge und aus den Kokosfasern entstehen Seile und Fußmatten.
Die Kokosnuss in der Küche
In unserer Küche ist immer eine Kokosnuss zu finden. Diese kommt bei uns vor allem als Kokosnuss-Chutney mit Idly oder Dosai auf den Tisch. Das Rezept dafür findest du übrigens hier.
Oft essen wir Kokosraspel über dem Gemüse-Poriyal. Aber auch der Kokos-Reis, der mit Kokosmilch zubereitet wird, schmeckt einfach lecker.
In den heißen Monaten trinken wir sehr gerne das kühlende Kokoswasser, das in den unreifen, grünen Kokosnüssen verkauft wird. Es ist nicht nur köstlich, sondern auch voller Elektrolyte – perfekt, um die Hitze des südindischen Sommers zu überstehen. In Südindien wird Kokoswasser überall an den Straßenrändern verkauft.
Kokosöl – das Multitalent
Dann ist da noch das Kokosöl, das in jedem südindischen Haushalt zu finden ist. Viele verwenden das Öl zum Kochen, vor allem in der Küche Keralas.
Doch der Gebrauch geht weit über die Küche hinaus. Kokosöl ist ein Wundermittel für Haut und Haare. Es gibt nichts Besseres, um trockene Haut nach einem heißen Tag zu beruhigen. Kokosöl ist entzündungshemmend und wirkt antibakteriell. Die enthaltene Laurinsäure, die im Kokosöl zu finden ist, besitzt auch antivirale und antimykotische Eigenschaften. Dazu kommen stark hautpflegende Eigenschaften. Kokosöl spendet Feuchtigkeit, schützt die Haut vor aggressiven Umweltgiften und reguliert den Säure-Basen-Haushalt.
Indische Frauen ölen ihre Haare und Kopfhaut regelmäßig mit Kokosöl ein, um ihr Haar zu pflegen.
Auch wenn eine Tür quietscht und die Scharniere nicht mehr so rund laufen, kommt bei uns Kokosöl zum Einsatz ;-).
Achtung, wenn du Kokosöl in Europa kaufen willst, heißt es oft Kokosfett. Da der Schmelzpunkt von Kokosfett bzw. -öl bei 24 Grad liegt, ist es in Mitteleuropa meist eine feste, cremig-weiße Masse, die als Fett bezeichnet wird. Steigen die Temperaturen über den Schmelzpunkt, wird das Fett zu einem klaren, flüssigen Öl.
Wenn ich in der Schweiz bin, ist dies immer etwas ärgerlich, da ich das Kokosöl dann nicht mehr aus der Flasche herausbekomme.
Die Kokosnuss in der Religion
Auch in der hinduistischen Religion hat die Kokosnuss einen festen Platz. Eine Kokosnuss als Opfergabe vor einer Gottheit aufzuschlagen, ist in Indien üblich. Bei jeder neuen Unternehmung wird eine Kokosnuss für die Götter geopfert. Sei es eine Hochzeit, ein Fest oder eine wichtige Pooja. Die Kokosnuss ist eine Notwendigkeit. Doch warum ist die Kokosnuss so wichtig?
Die Kokosnuss wird als “Frucht Gottes” bezeichnet. Eine Kokosnuss zu brechen steht dafür, das eigene Ego zu zerstören und in Demut vor Gott zu treten. Die harte Schale von Ignoranz und Egoismus wird zerschlagen und gibt den Weg frei zu innerer Reinheit und Wissen, was durch die weiße Frucht im Inneren symbolisiert wird.
Warum wird die Kokosnuss während der Pooja zerbrochen? Zu früheren Zeiten war es üblich, auch Tiere und Menschen zu opfern.
Adi Shankaracharaya, ein religiöser Lehrer und Philosoph, der um 800 nach Christus lebte, fand diese Rituale unmenschlich und schrecklich. Anstelle von Menschenopfern nahm er Kokosnüsse als Opfergaben. Die Kokosnuss gleicht dem menschlichen Kopf in vielerlei Hinsicht. Die Kokosfasern symbolisieren die menschlichen Haare, die harte Schale ist wie der menschliche Schädel, das Kokoswasser gleicht dem Blut und das Fruchtfleisch entspricht unserem Gehirn, unserem Wissen.
Glücksbringer und Schutz gegen das böse Auge
Eine wichtige Rolle spielt die Kokosnuss auch im Alltag. Wenn ein neues Auto gekauft oder ein Haus gebaut wird, wird oft eine Kokosnuss vor der Tür zerschlagen. Der Akt soll Segen bringen und die Bewohner oder Besitzer vor Unheil bewahren.
Viele Inderinnen und Inder sind sehr abergläubisch und glauben an den bösen Blick. Um sich dagegen zu schützen, umwickeln manche eine Kokosnuss mit einem roten Faden. Der Faden sollte so lang sein, wie der Besitzer groß ist. Danach wird 7-mal um den Kopf gekreist und die Kokosnuss in einen Fluss geworfen.
Auch Planetenstellungen, die schlechte Auswirkungen haben, können mit einer Kokosnuss abgemildert oder abgewendet werden. Dazu sollte man mit einer Kokosnuss, die in der Nähe des Kopfes platziert wird, an einem Mittwoch schlafen. Diese muss man am nächsten Tag Lord Ganesha opfern.
Die Kokosnuss ist in Südindien also weit mehr als nur eine exotische Frucht – sie ist ein Symbol für die Vielfalt und Tiefe der südindischen Kultur. Ihre Präsenz in Küche, Alltag und Ritualen zeigt, wie eng Natur und Tradition hier miteinander verwoben sind. Egal ob als köstliches Chutney, pflegendes Öl oder spirituelles Opfer – die Kokosnuss begleitet die Menschen in Südindien durch alle Facetten ihres Lebens.