Vielleicht habt ihr beim Besuch eines Shiva-Tempels auch schon beobachtet, dass Besucher bei einem bestimmten Gott oft die Finger schnipsen oder leise in die Hände klatschen. Als ich meinen Mann darauf ansprach, wusste er auch nicht genau Bescheid. In solchen Fällen hilft meistens mein Schwiegervater weiter, denn er verfügt über ein enormes Wissen über die hinduistische Götterwelt.
„Das ist Lord Chandikeswarar,“ erklärte er sofort. Er sei der Hüter und Bewahrer des Tempels und eigentlich sei es falsch zu klatschen oder zu schnipsen, denn Sri Chandikeswarar sei in tiefer Meditation mit Lord Shiva verbunden. Man sollte ihn nicht stören. Stattdessen reicht es, bevor man den Tempel verlässt, ihm beide Hände hinzuhalten. Dies zeigt, dass man nichts aus dem Tempel gestohlen hat.

In früheren Zeiten wurden in den Tempeln oft die Reichtümer des Landes aufbewahrt. Aber auch heute lagern in den Tempeln noch viele Reichtümer. Die Götter werden oft mit Gold- und Silberschmuck geschmückt.
Daher war es Brauch, Chandikeswarar vor dem Verlassen des Tempels aufzusuchen, um Respekt und Ehrlichkeit zu demonstrieren. Chandikeswarar selbst wird mit Waffen dargestellt, bereit, für Shiva in den Krieg zu ziehen. Wer sich jedoch an den Schätzen eines Tempels vergreift, begeht eine große Sünde, die sogar seine Nachkommen belasten kann.
Die Legende von Chandikeswarar
Natürlich gibt es über Lord Chandikeswarar auch eine beeindruckende Geschichte:
Vichara Sarman wurde im Dorf Senganoor in Tamil Nadu geboren. Schon als Kind war er Lord Shiva zutiefst zugewandt. Als er fünf Jahre alt war, beobachtete er, wie ein Mann eine Kuh schlug. Empört schritt er ein: „Weißt du eigentlich nicht, dass eine Kuh heilig ist? Alle Gottheiten ruhen in ihr! Unsere Aufgabe ist es, die Kühe zu beschützen und nicht sie zu schlagen!“

Von diesem Tag an hütete Vichara die Kühe und sorgte für sie. Es war unverkennbar, dass die Kühe gesünder wurden und mehr Milch gaben.
Eines Tages formte der Junge aus dem Schlamm und der Erde des Flusses Manniyar einen Lingam, ein Symbol für Lord Shiva. Er schmückte den Lingam täglich mit frischen Blumen, goss Milch darüber und betete in tiefer Meditation.
Dies blieb nicht unbemerkt und nach ein paar Tagen kam seinem Vater zu Ohren, dass sein Sohn Milch verschwenden würde. Am nächsten Tag folgte er seinem Sohn heimlich. Als er sah, wie er Milch über den Lingam schüttete, wurde er zornig und schlug seinen Sohn mit einem Stock und der Lingam fiel zu Boden.

Da nahm der Junge den Stock und schlug auf das Bein von seinem Vater ein. Durch Shivas Willen verwandelte sich der Stock zu einer Axt und der Vater verlor dadurch sein Bein und sein Leben. Vichara war so in seinen Gebeten zu Lord Shiva vertieft, dass er dies nicht einmal bemerkte. Da erschienen ihm Lord Shiva und seine Frau Parvati.
Lord Shiva sprach:“ Ich segne dich mein Kind. Meinetwillen hast du deinem Vater das Bein abgeschnitten. Doch er soll wieder leben und sein Bein zurückerhalten. Von jetzt an bin ich dein Vater. Du sollst Chandikeswarar genannt werden. Du hast mich mit Blumen und Milch geehrt und mich lobpreist, genauso sollst du jetzt verehrt werden.“
Die Verehrung von Chandikeswarar
Seitdem wird Lord Chandikeswarar in jedem Shiva- Tempel verehrt. Meistens findet man ihn in einer Ecke des Tempels, seinen Blick gegen den Süden gerichtet. Dort wacht er über den Tempel, stets in Meditation mit Lord Shiva verbunden. Bevor man den Tempel verlässt, sollte man Chandikeswarar mit Respekt begegnen und ihm die leeren Hände zeigen, um seine Ehrlichkeit zu beweisen.
Die Geschichte von Chandikeswarar erinnert uns daran, wie wichtig Respekt, Hingabe und Ehrlichkeit im Alltag sind. Sein stilles Dasein in den Tempeln zeigt, dass wahre Stärke oft in der inneren Ruhe und Treue zu den eigenen Überzeugungen liegt.
Interessierst du dich für die hinduistische Götterwelt? Hier findest du einen Überblick über die wichtigsten Götter und Göttinnen im Hinduismus.