Am Sonntag in der Früh bekam Prabhu einen Telefonanruf. Sein Freund berichtete stolz und aufgeregt, dass seine Tochter nun groß geworden sei.
Bekommt ein Mädchen in Tamil Nadu seine erste Menstruation, ist dies ein Grund zum Feiern. So wurde auch ich zum Fest eingeladen, das vor allem von Frauen besucht wird. Eigentlich hatte ich keine Lust hinzugehen, aber da ich bereits eine Hochzeit der Familie nicht wahrgenommen hatte, fühlte ich mich doch verpflichtet, einen Kurzbesuch zu machen.
An Manjal Neerattu Vizha, dem Pubertätsfest, werden die Mädchen reich beschenkt und je nach Familie werden verschiedene Rituale durchgeführt.
Manche Familien feiern es ganz privat nur im engsten Familien- und Freundeskreis und andere im großen Stil mit vielen Gästen und gebuchter Wedding Hall.
Wie eine Prinzessin sah Gayathri in ihrem Halbsari aus. Am Boden ausgebreitet die vielen Geschenke. Schmuck, viele neue Kleider, Schuhe, Kosmetika, Früchte, … auch der erste richtige Sari lag sorgfältig verpackt dabei.
Ich legte mein Geschenk, eine Uhr und ein Parfüm, dazu und wartete ab. Langsam begann die Zeremonie. Gayathri wurde mit Blumen geschmückt und nahm auf einem kleinen Schemel Platz. Vor ihr die Öllichter, Gelbwurzpaste, Kumkumpulver (rotes Pulver), Rosenwasser, Blütenblätter, Reiskörner und eine Schüssel mit Kumkumwasser.
Es erinnerte mich sehr an das Fest, das vor der Hochzeit meiner Nichte stattgefunden hatte.
Die ersten Geschenke der nahen Verwandten wurden überreicht und ich versuchte genau zu beobachten und mir einzuprägen, wie die Frauen das Mädchen segneten.
– Zuerst die beiden Öllichter und danach Gayathri mit einem Punkt Kumkumpulver schmücken.
– Etwas Gelbwurzpaste auf beide Wangen und beide Hände des Mädchens gegeben.
– Rosenwasser über das Mädchen spritzen.
– Blüten mit Reis über das Mädchen streuen.
– Den Teller mit dem Kumkumwasser vor dem Mädchen schwenken und nochmals einen Punkt auf die Stirn geben. (Scheinbar ist dies ein Ritual, das vor den bösen Blicken schützen soll. Nach der Zeremonie schüttet man das restliche Kumkumwasser vor der Haustüre aus.)
Die nahen Verwandten beschenkten Gayathri mit Goldschmuck, den sie auch sofort anziehen durfte. Das Pubertätsfest ist auch ein Beitrag zur Mitgift, die eine Familie für ihre Tochter bei der Hochzeit aufbringen muss.
Als ich als Letzte an die Reihe kam, wusste ich recht genau, was ich tun musste. Ich segnete Gayathri und übergab mein Geschenk.
Das Mädchen strahlte glücklich. Sie schien es zu genießen, im Mittelpunkt zu stehen und so viele Geschenke zu erhalten.
Wie groß sind doch da die kulturellen Unterschiede! Mir wäre dies als junges Mädchen äusserst peinlich gewesen. Das gesamte Umfeld wissen zu lassen, dass ich meine Tage bekommen habe? Nein, das hätte ich mir wirklich nicht gewünscht.
Aus heutiger Sicht finde ich diesen Brauch jedoch sehr schön. Warum diese bedeutsamen Übergänge nicht feiern? Es ist doch etwas Schönes, wenn ein Mädchen zur Frau wird, wenn ein neuer Abschnitt beginnt.
Mehr zum Thema Menstruation findest du hier:
https://meinlebeninindiendotblog.wordpress.com/2019/05/18/pad-man-tabuthema-menstruation-in-indien/
11 Antworten
Und ich dachte die Menstruation ist in Indien noch größtenteils ein Tabuthema. Ich hatte letztens erst eine Dokumentation darüber gesehen, dass ein Inder eine Maschine erfunden hat, mit der sehr günstig hygienische Binden hergestellt werden können. Um das Tabu zu brechen und auch armen Frauen zu Hygiene zu verhelfen.
Aber vielleicht ist das auch regional und von Kaste zu Kaste unterschiedlich.
Danke für die sehr interessante Beschreibung! 🙂
Luisa
Das ist auch so. Während der Menstruation gilt eine Frau als unrein. Auf dem Lande ist es durchaus noch Brauch, dass eine Frau während ihrer Tage das Haus oder die Küche nicht betreten darf.
Verrückt, dass die erste Menstruation dann noch ein freudiges Ereignis ist. Ich hoffe, dass du keine Benachteiligung erfahren musst in der Hinsicht! Ganz schön heftig, wenn man eine Woche im Monat obdachlos ist, nur weil man als Frau geboren wurde.
Das Pubertätsfest wird nicht in allen Bundesstaaten gefeiert. Das ist eine alte Tradition der Tamilen. Auch in Andhra Pradesh findet etwas Ähnliches statt. Nein, in unserer Familie ist das kein Problem und in den Städten ist man diesbezüglich fortschrittlicher. Die Menstruation wird ja in ganz vielen Kulturen als unrein angesehen. Es braucht alles Zeit, um sich zu verändern.
Meine Mädchen bekamen/bekommen auch ein besonderes Geschenk und ein Essen/Restaurantbesuch mit Mama zu diesem „Anlass“. Ich finde es auch schön diesen „Übergang“ vielleicht nicht unbedingt zu feiern aber ihn irgendwie als etwas besonderes anzuerkennen.
Das finde ich eine schöne Idee!
Auch in Indien stehen wohl die Tennisschuhe hoch im Kurs 🙂
Ich vermute, dass diese Schuhe zur Schuluniform gehören. Die indischen Schüler müssen oft weiße Schuhe und Socken tragen.
Ich hab mir auch gedachte, dass mir das vermutlich peinlich gewesen wäre, wenn groß verkündet wird, dass ich jetzt menstruiere. Dann hast du das am Ende auch geschrieben, witzig. Aber generell finde ich es auch schön, dass zu feiern anstatt es zu tabuisieren.
Danke für deinen Kommentar. Ja, da hätte ich mich gar nicht drüber gefreut, aber hier in Tamil Nadu wird dies groß gefeiert und die Mädchen können es kaum erwarten. Liebe Grüße aus Chennai Irène