Mein indischer Superhero

Die pädagogischen Versuche eines Inders oder mein indischer Superhero

Kürzlich habe ich festgestellt, dass mein mein indischer Superhero-Artikel beim Wechsel auf die neue Webseite abhandengekommen ist. Einfach verschwunden in den Weiten des Internets! So poste ich ihn hier nochmals. Entstanden ist er während der Corona-Pandemie. 

Mein Liebster kann es nicht lassen, seine Landsleute zu belehren und zu korrigieren. Für seine nicht enden wollenden Sisyphus-Bemühungen bewundere ich ihn, manchmal bringen sie mich zum Schmunzeln, und manchmal nerven sie. Vor allem dann, wenn man eigentlich etwas anderes vorhätte.

Ich weiß ehrlich nicht, warum viele Inderinnen und Inder es nicht schaffen, sich einigermaßen mit Anstand zu benehmen. Natürlich gibt es solche Menschen weltweit, auch in meinem Heimatland, der kleinen Schweiz. 

Aber dieses Ellbogen-Gehabe kann man in Indien schon sehr ausgeprägt beobachten. „Ich zuerst und danach alle andern“, scheint das Mantra zu lauten. Dies auf die unteren, ungebildeten Schichten abzuwälzen, wäre ein Fehler. Was ich schon von gut situierten, scheinbar sehr gebildeten Damen und Herren mitbekommen habe!

So gibt es für meinen Mann täglich Knigge-Arbeit. Im indischen Straßenverkehr wird er immer wieder aktiv. Wenn jemand egoistisch und unüberlegt eine Straße blockiert oder so fährt, dass man nur sprachlos den Kopf schütteln kann, dann sollte er sich von den Belehrungen meines Mannes in Acht nehmen. 

Die Einsicht und Fähigkeit, einen Fehler zuzugeben oder auch nur einzusehen, liegt jedoch selten in der indischen Natur. Daher sind seine  „Lectures“ , wie unser Sohn so schön sagt, oft zeitintensiv und nicht wirklich beruhigend fürs Nervenkostüm aller Beteiligten.

Auch im Supermarkt werden Verfehlungen umgehend von meinem Mann angesprochen. Sich nicht richtig anstellen, vordrängeln und rücksichtsloses Verhalten werden von meinem Liebsten geahndet. Neulich trafen wir ein besonders ungehobeltes Exemplar. Wir standen an der Kasse und der Kunde vor uns rastete dermaßen aus, dass die Kassiererin in Tränen ausbrach. Es ging darum, dass der gute Mann seine wenigen Einkäufe selbst in eine Tasche hätte packen sollen. Nett erwiderte die Kassiererin, dass sie während Corona die Anweisungen hätten, die Taschen nicht zu packen. Das war für diesen Mann zu viel!

Um die Geschichte kurz zu machen: Mein Mann hat nun „Hero-Status“ bei der jungen Verkäuferin und all den anderen Angestellten. Ich habe einen indischen Superhelden geheiratet! Es fehlt nur noch das rote Cape und der eng anliegende, windschlüpfrige blaue Dress.

Mein indischer Superhero

„You have to come only to my counter, Madam“, säuselte sie neulich zu mir, als ich unbedacht an einer anderen Kasse zum Bezahlen anstand. Seither hält sie mit uns immer ein freundliches Schwätzchen. Okay, sie spricht vorwiegend mit ihrem Superhero. Gemeinsam witzeln sie über böse Kunden und ich packe in der Zwischenzeit die Einkäufe corona-conform selbst ein.

Während mein Mann immer mehr zum Schweizer mutiert, übe ich mich in indischer Gelassenheit. Innerlich “OM” singen und weiter gehts. Ich echauffiere mich nicht über solche Kleinigkeiten.

Doch alles hat seine Grenzen! Vor allem, wenn ich dringend aufs Klo muss, mich brav in die Warteschlange stelle und einfach vorgedrängelt wird. Da kann ich notfalls zur indischen Göttin Kali mutieren. Und glaubt mir, die auf den Totenköpfen tanzende Kali macht kein Federlesen. Zugegeben, der Vergleich hinkt, ich bin eher eine abgeschwächte, schweizerische Version. 

Aber ja, manchmal muss man in Indien seine Ellbogen ausfahren, ansonsten wird man anstandslos übergangen. 

Eines ist jedoch sicher: Mit meinem indischen Superhelden an der Seite ist es ein bisschen einfacher!

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