Evakuieren ist angesagt. Dies ist gar nicht so einfach, denn meine Schwiegermutter ist nicht mehr gut zu Fuß und ein Stockwerk mit glitschigen Treppen zu erklimmen gleicht fast der Besteigung des Mount Everests.
Tja, geschafft und da sitzen die beiden nun auf unserem Sofa im ersten Stock. Strom gibt es schon seit Mitternacht keinen mehr. Die Wohnung im Erdgeschoss ist mit rund 30 cm Wasser geflutet. Der Zyklon Michaung hat uns viel Regen beschert – viel zu viel!
Die beiden haben noch viele Wünsche, was man alles von unten hochbringen sollte und so kneippen mein Mann und ich auf indische Art durch das Schmutzwasser.
Der Inverter, eine Überbrückungsbatterie, hält nicht sehr lange und so sitzen wir um 6 Uhr mit Kerzenlicht in der Wohnstube. Besinnlich sieht es aus, ist es aber nicht. Wir haben einen kompletten Blackout, nichts funktioniert mehr: keinen Strom, keine Internetverbindung, keine Anrufe. Digitales Detox pur, aber nicht freiwillig, sondern erzwungen. Alle sind leicht genervt und unsere Hundedamen liegen deprimiert auf ihren Decken. Der Wind pfeift immer noch durch die Straßen und es regnet immer noch heftig. Wann hört das endlich auf? Ich wärme kurz die Reste vom Mittagessen auf und schließlich gehen wir alle früh zu Bett. Ich schlafe schlecht, aber erfreut stelle ich fest, dass es gegen 2 Uhr aufgehört hat zu regnen.
Der Morgen stimmt zuversichtlich, das Wasser ist etwas zurückgegangen, aber unsere Straße ist immer noch ein Fluss. Wir haben nur noch einen Liter Trinkwasser und so beschließen mein Mann und ich kurz einkaufen zu gehen. Doch der Supermarkt hat noch geschlossen und da sage ich die verheerenden Worte: “Spencer’s öffnet bereits um 7 Uhr.” Und so fahren wir in Richtung Velachery.
Alles geht gut, ab und zu sehen wir eine überflutete Nebenstraße, ansonsten hat es überraschend wenig Wasser auf der Straße. Doch je näher wir unserem Ziel kommen, desto mehr Wasser gibt es auf der Fahrbahn. Plötzlich ist das Wasser vor uns wirklich tief und einige Motorradfahrer kehren wohlweislich um. Einige Unglückliche schieben ihre Motorräder mit betrübten Gesichtern zurück, weil der Motor nicht mehr mitmachen wollte und ihn im Schmutzwasser erstickte.
“Fahr hier nicht durch!”, warne ich meinen Liebsten. Aber inspiriert durch einen weinroten Wagen, der vor uns durch die Brühe fährt, meint mein Mann, dass es schon gehen würde.
Das Wasser wird immer tiefer. Am Straßenrand waten junge Männer durch das Wasser. Inzwischen reicht es bis zu den Oberschenkeln.
“Du musst umdrehen!”, sage ich ängstlich zu meinem Mann. Für solche Abenteuer bin ich definitiv nicht gemacht. Doch es ist nicht mehr möglich zu wenden. Die Straße ist zu eng. ”Augen zu und durch” ist die einzige Option. Ich schwitze Blut – und sehe mich innerlich schon bis zur Hüfte in dieser Dreckbrühe stehen.
Rechts von uns ist eine Brücke – Rettung in Sicht. Doch inzwischen dringt das Wasser ins Auto. Wir haben nasse Füße und unser Auto beginnt alarmierend zu piepen. Ich schicke ein Stoßgebet gegen den bewölkten Himmel und tatsächlich erreichen wir die Brücke und atmen durch. Viele Autos sind hier geparkt worden, um sie vor dem Hochwasser in Sicherheit zu bringen. Prabhu fährt die Brücke hoch und da realisieren wir, dass wir in der Falle sitzen.
Vor und hinter uns ein riesiger tiefer Fluss, der einst eine Straße war. Wir sind gefangen, überlegen hin und her und beobachten die Leute, die sich bis zur Taille im Wasser stehend durchs Wasser kämpfen. Es gibt wenige mutige Fahrzeuge, die es wagen. Ein Lastwagen und eine Ambulanz scheinen es zu schaffen. Ein Auto scheint wie ein Amphibien-Fahrzeug langsam in unsere Richtung zu schwimmen. Auf einem selbstgebastelten Floss paddelt ein Mann durch die Straßen. Verrückte Bilder!
Nachdem wir dem Treiben eine Weile zugesehen haben, trifft mein Mann plötzlich eine Entscheidung. “Wir fahren jetzt einfach den gleichen Weg zurück.” Ein sehr riskanter Plan, da kurz vor der Brücke zwei Autos abgesoffen im tiefen Wasser stehen.
“Holy Shit! – hoffentlich geht das gut aus!”, denke ich. Es ist wirklich interessant, wie der Herrgott in solchen Momenten plötzlich wieder an Bedeutung gewinnt. Nach kurzer Zeit bekommen unsere Füße ein erneutes unerwünschtes Fußbad und unser Toyota beginnt wieder, um Hilfe schreiend zu piepen. Langsam geht es voran und endlich ist der schlimmste Teil überstanden. Wir haben es geschafft!
Prabhu tätschelt liebevoll, so wie er es bei unseren Hunden macht, das Steuerrad unseres Autos und murmelt: „Gut gemacht, Toyota Innova!”
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Wow!